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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer
Autoren: Baumhaus
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Mühe gehabt, mit seinem Hof über die Runden zu kommen, doch jetzt begann der Betrieb zu florieren. Das Korn, die Milch und das Fleisch, die Bruck produzierte, wurden von den deutschen Behörden zu fairen Preisen aufgekauft.
    Als es im Frühjahr 1940 im Westen erneut zu Kriegshandlungen kam, machten sich die Brucks wieder Sorgen. Was, wenn die Nazis sich überschätzt hatten? Wer würde die Sowjets davon abhalten können, über den Bug hinweg vorzustoßen und sich das übrige Polen einzuverleiben? Herr Bruck dachte jetzt sogar darüber nach, nach Deutschland zurückzugehen.
    Aber bevor es dazu kam, eroberte wieder einmal die Wehrmacht alles, was ihr in den Weg kam. Norwegen, Dänemark, Belgien, Holland – innerhalb eines Monats waren sämtliche Länder unterworfen. Als in Frankreich die Kämpfe begannen, standen die Deutschen nach nur einer Woche am Ärmelkanal. Und als Frankreich Mitte Juni fiel, wussten die Brucks, dass ihnen eine sowjetische Invasion erspart blieb.
    Das Leben ging also weiter – bis zur Nacht des 22 . Juni 1941 . Piotr wurde noch vor Sonnenaufgang wach, geweckt vom schrecklichen Donnern der Flugzeuge über seinem Kopf und dem unheilvollen Rasseln der Panzerketten auf den Straßen. Etwas Welterschütterndes war direkt vor seiner Haustür im Gang. Er lief zum Schlafzimmer seiner Eltern, aber die Tür, die sonst immer geschlossen war, wenn sie schliefen, stand offen. Als er hineinspähte, erschrak er, denn das Bett war unbenutzt. Sie waren nicht da. Am Abend zuvor hatten sie versprochen, um elf Uhr zurück zu sein. Es war überhaupt nicht ihre Art, ihn die ganze Nacht allein zu lassen.
    Piotr rief Solveig zu sich, die unter dem Küchentisch kauerte, und ging in den Vorgarten. Dichter Nebel lag über den Feldern. Gewöhnlich hörte man das traurige Quaken der Frösche, aber jetzt wurde es vom Donnern der Artillerie übertönt. Piotr sah das Mündungsfeuer der Kanonen am östlichen Horizont nahe dem Bug aufblitzen.
    Er fragte sich, ob die Sowjets vorgestoßen waren und die Deutschen sie jetzt zurückschlugen. Vielleicht saßen seine Eltern wegen der Gefechte irgendwo fest? Piotr begann zu zittern und lief schnell wieder ins Haus, um sich hinzusetzen. Er machte sich Kaffee und ein Butterbrot und wartete, dass es hell wurde. Vielleicht gab es für die Abwesenheit seiner Eltern eine logische Erklärung. Womöglich waren sie durch die Militärfahrzeuge aufgehalten worden.
    Es dämmerte. Mit Solveig, die nicht von seiner Seite wich, lief er die Zufahrt hinauf, die den Hof mit der Hauptstraße nach Wyszków verband. Die Flugzeuge, Panzer, Motorräder, Lastwagen und Feldgeschütze waren alle Richtung Osten unterwegs. Es war, als würden die Deutschen soeben ins Land einfallen.
    Ein Lastwagen steuerte so nah an den Straßenrand heran, dass Piotr zur Seite springen musste und dabei in den Straßengraben fiel. Als die Soldaten das sahen, lachten sie hämisch, worauf Solveig zu bellen begann. Piotr wurde klar, dass seine Hündin hier in Gefahr war. »Nach Hause, Mädchen«, rief er und deutete dabei auf die Zufahrt. Solveig trottete zögerlich einige Schritte heimwärts, setzte sich dann aber auf die Hinterläufe und wartete.
    Piotr wandte sich wieder der Hauptstraße zu. Seine Eltern waren nach Wyszków gefahren, um sich mit Freunden zum Essen zu treffen. Daher schien es sinnvoll, in diese Richtung zu gehen. Piotr wartete eine Lücke zwischen den Fahrzeugen ab, um die Straße zu überqueren, und lief Richtung Dorf.
    Auf den ersten Blick erkannte er das Auto am Straßenrand wieder, obwohl es schrecklich demoliert war. Das Nummernschild – WZ 1924  – hing noch dran, an einem Metalldraht vor der eingedrückten Kühlerhaube. Den Reifenspuren nach war das Auto in den Straßengraben abgedrängt worden.
    Am Wagen standen zwei Männer, die ins Innere spähten. Piotr kannte sie. Es waren Landarbeiter seines Vaters. Als sie ihn erblickten, bedeuteten sie ihm mit Gesten, er solle nicht näherkommen. Piotr achtete nicht darauf und rannte auf sie zu. »Geh weg!«, rief einer der Männer eindringlich.
    An der Beifahrertür bemerkte Piotr eine Spur geronnenen Bluts. Durch die zerschmetterte Windschutzscheibe erkannte er … einen Mantel? Einen Hut? Er wusste sofort, wem beides gehörte, und sah zur Seite, ehe er den schrecklichen Anblick wirklich realisiert hatte. Seine Beine gaben nach, er fiel hin und übergab sich.
    Die beiden Landarbeiter kamen zu ihm. Der eine legte seineJacke um Piotrs Schultern und schloss
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