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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer
Autoren: Baumhaus
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übers Gesicht geströmt. Später hatten sie und ihre Familie mit erschüttertem Schweigen Ulas Bericht gelauscht, vor allem als sie von Otto erzählte.
    Sie wohnten in einem großen Haus in Stora Essingen, direkt am Meer mit Blick über den südlichen Teil der Stadt, und hatten reichlich Platz für Gäste. Die hellen, luftigen Räume entschädigten Peter für die Monate, die er in der bedrückenden kaltenbachschen Wohnung zugebracht hatte.
    »Du solltest tagsüber nicht schlafen, Peter«, riet Ula. »Dann schläft man nachts nicht so gut.«
    Peter nickte. Er wollte nicht widersprechen. Aber seit ihrer Ankunft schlief er nachts immer nur wenige Stunden, daher musste er tagsüber Schlaf nachholen. Seine Träume waren zu intensiv, zu beängstigend: Er rannte, immer rannte er. Oder ersah unscharfe, schattenhafte Szenen, in denen er in einem Gebäude oder einem Zug eingeschlossen war und darauf wartete, gefasst zu werden. Er wusste, dass auch Ula und Anna schlecht schliefen. Sie dachten beide fast ständig an Otto.
    Später am Nachmittag fuhren sie mit der Trambahn ins Stadtzentrum. Arm in Arm spazierten sie zu dritt zum Kai und betrachteten die großen, in Pastellfarben gestrichenen und im Sonnenlicht leuchtenden Häuser entlang der weit gezogenen Bucht. »Was für schöne Gebäude. Und keine einzige Hakenkreuzfahne«, sagte Ula.
    Solange Peter zurückdenken konnte, hatte ihn eine unterschwellige Angst geplagt. Manchmal war sie nebelhaft vage gewesen, wie die Angst vor Hitlers Invasion in Polen, manchmal unmittelbar konkret wie die Angst, bei einem Luftangriff umzukommen. Oder die stets präsente Schreckensvorstellung, von der Gestapo verhaftet und gefoltert zu werden. Doch nun drohte nichts Dunkles mehr am Horizont. Überhaupt nichts. Peter empfand etwas, das er sehr lange nicht gespürt hatte. Er fühlte sich frei.

Fakten, Fiktion und Quellen
    Wenn man über eine so extreme und absurde Ideologie wie den Nationalsozialismus schreibt, gerät man leicht in Versuchung, ins Karikaturhafte zu verfallen. Aber Beispiele wie das Weihnachtslied (S. 124), der Christbaumschmuck aus Hakenkreuzen (S. 126) und die Aufgabenstellungen in den Schulbüchern (S. 75 und 111) stammen ausnahmslos aus Augenzeugenberichten oder von Fotos aus jener Zeit. Charlottes Puppenhaus kann man in der Abteilung » NS -Regime und Zweiter Weltkrieg« des Deutschen Historischen Museums in Berlin besichtigen.
    Manchmal wurden die genauen Daten der in diesem Buch geschilderten realen Ereignisse leicht abgeändert, damit sie sich besser in den Ablauf der Geschichte fügen. Beispielsweise begannen die Forschungen an »Menschenmaterial« zur epidemischen Gelbsucht erst im Juni 1943, und die noch absurderen Untersuchungen von Karin Magnussen über die menschliche Iris wurden, meiner Kenntnis nach, 1944 aufgenommen, nicht bereits 1943 . Auch wurde das Gefängnis Plötzensee von der Royal Air Force am 3 . und 4 . September 1943 bombardiert und nicht schon im August.
    Die Schilderung von Piotrs Untersuchung in Kapitel 2 beruht auf einer Passage in Winds of Life , der Autobiografie von Gershon Evan (ehemals Gustav Pimselstein).
    Artur Axmanns Rede an die Hitlerjugend in Kapitel 11 basiert auf einer Ansprache, die Peter Neumann in seiner Autobiografie Other Men’s Graves (Weidenfeld and Nicolson, London 1958 ) zitiert, ebenso der Wortlaut des Gelöbnisses der Hitlerjungen. Die Rede hielt in Wirklichkeit Axmanns Vorgänger Baldur von Schirach, aber ich nehme an, dass Axmann eine ähnlich pseudowissenschaftliche Ideologie von sich gegeben hat. Einige der Schulbuchaufgaben in meinem Roman sind ebenfalls Neumanns Schilderungen seiner Jugend in Hitler-Deutschland entnommen.
    Der Auszug aus Peters Kriegsbuch in Kapitel 14 stammt aus Walter Menningens Schrift Vorwärts, immer vorwärts! Vom Siegeszug unserer Infanterie im Osten, Steininger-Verlage, Berlin 1942 (zitiert aus: Menningen, Walter: Vorwärts, immer vorwärts. Kriegsbücherei der deutschen Jugend, Heft 135 , S. 16 , Anm. des Verlags).
    Die Figur der Ula Reiter ist teilweise Ruth Andreas-Friedrich und Marie »Missie« Wassiltschikow nachempfunden – zwei tapferen Frauen, die sich den Nazis im Berlin der Kriegszeit widersetzten und fesselnde Tagebücher über ihre Erlebnisse während des Kriegs hinterlassen haben.
    Unter der Vielzahl von Büchern und Websites, die ich bei der Recherche für diesen Roman benutzte, waren die folgenden besonders hilfreich:
    Deadly Medicine   – Creating the Master Race , hg. Von
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