Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer
Autoren: Baumhaus
Vom Netzwerk:
das schon seit Tagen unterwegs ist. Na komm, niemand wird uns komisch anschauen.«
    Die Versuchung war zu groß. Peter holte sein HJ -Messer aus der Manteltasche und schnitt das Seil durch, mit dem die Plane befestigt war.

Kapitel neununddreißig
    Berlin
13. August 1943
    Otto Reiter lag auf seiner Pritsche im Gefängnis Plötzensee. Es war kurz nach Mitternacht. Er war todmüde, doch die Blutergüsse an seinem malträtierten Körper und die Schmerzen, die ein ausgeschlagener Zahn ihm bereitete, hielten ihn wach. Wie lange noch würde er der Folter standhalten können? Er wusste es nicht zu sagen. Sie hatten angekündigt, ihm am nächsten Morgen oder am Tag darauf erst die Fingernägel, dann die Zehennägel herauszureißen. Danach, so hatten sie ihm versichert, konnten sie noch auf eine Vielzahl anderer Methoden zurückgreifen. Es war das übliche Vorgehen der Gestapo, einem Gefangenen auszumalen, was ihm noch bevorstand. Er sollte ständig daran denken, die Angst davor sollte ihn martern.
    Und dann? Man würde ihn erschießen oder hängen oder köpfen. Wie er am liebsten hingerichtet werden würde, hatte sein Folterer ihn gefragt. Otto Reiter hatte ihm in die Augen gesehen, ohne Angst zu zeigen. Doch er wusste nicht, wie lange er das noch durchhalten würde.
    Das tiefe Brummen der Mosquito-Bomber über der Stadt war zu hören, zunächst als schwaches Dröhnen, dann als schweres Donnern, das er in der Brust spürte. Er stellte sich auf seine Pritsche, um aus dem hohen Zellenfenster zu blicken. Suchscheinwerfer zerschnitten den Himmel, und als eines der Flugzeugedirekt über das Gefängnis hinwegraste, zuckte er zusammen. Im nächsten Moment gab es eine laute Detonation unweit der äußeren Gefängnismauer. Stein- und Zementbrocken schlugen gegen das Fenster, und er zuckte erneut zusammen, als die Scheibe zerbarst.
    Zum ersten Mal seit seiner Verhaftung lachte Otto. Er empfand eine fast kindische Freude über die Zerstörung, die die Briten diesem schrecklichen Gefängnis zufügten. Er lachte immer noch, als eine weitere Bombe seine Zelle und drei oder vier Nachbarzellen in Schutt und Asche legte.

Kapitel vierzig
    Ostsee
13. August 1943
    Kriminalassistent Werner Schlüter war nicht gerade bester Laune. Vieles hätte er lieber getan, als sich auf der Autofähre König Gustav zwischen Sassnitz und Trelleborg als Passagier auszugeben. Er war in die Gestapo eingetreten, um das Reich von Juden zu säubern, nicht, um auf einem kleinen Schiff herumzulungern. Sassnitz, der Ort, in den man ihn versetzt hatte, war ein ödes kleines Nest. Er wäre viel lieber in Berlin gewesen.
    Ab und zu gab es Fälle, die ihn interessierten. Kriminelle, Terroristen, Juden. Alle auf der Flucht. Schafften es vielleicht bis zur Fähre. Sie aufzuspüren war aufregend. Einen dreckigen kleinen Juden auf der letzten Etappe seiner Reise zu schnappen, wenn er schon sicher war, den Kopf aus der Schlinge gezogen zu haben – das verschaffte ihm tiefe Befriedigung. Ihre Gesichter zu sehen, wenn sie begriffen, dass sie verloren hatten. Letzte Woche war in seinem Büro ein Telex von einem Leutnant Brauer aus Berlin eingegangen mit er Anweisung, nach einer Frau und ihrer Tochter sowie einem jungen Mann Ausschau zu halten. Reiter hießen die Frauen mit Nachnamen, Bruck der Junge. Alle groß, der Junge blond, die Frauen dunkelhaarig. Die Beschuldigungen gegen sie waren gravierend – sie erwartete nichts Geringeres als die Guillotine. Vielleicht könnte er alle drei noch an diesem Tag schnappen – wie jene dreckigen Verräter in München, dieBande, die sich Weiße Rose nannte. Von der Verhaftung bis zur Hinrichtung hatte es keine fünf Tage gedauert. Genau so musste man mit solchem Abschaum verfahren.
    Man hatte auch Fotos telegrafiert, auf denen sie allerdings alles andere als deutlich zu erkennen waren. Auf jeden Fall ziemlich gut aussehend, alle drei mit klassisch arischen Zügen. Der junge Mann war jedoch angeblich ein Mischling. Seltsam. Er sah genauso aus wie der Junge auf dem HJ -Plakat.
    Ula Reiter genehmigte sich in der Bar der König Gustav einen kleinen Schnaps. Bis zu ihrem Eintreffen in Schweden, so hatte sie sich geschworen, würde sie keinen Tropfen Alkohol anrühren. Sie musste ihre fünf Sinne beieinanderhalten. Aber sie war nervös und überzeugt, dass sie sich ein wenig Mut antrinken musste. Ihr Verstand sagte ihr, dass keine Hindernisse auf ihrem Weg mehr zu erwarten seien. Sobald sie Sassnitz hinter sich gelassen hatte, wäre sie vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher