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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer
Autoren: Baumhaus
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gemacht. Er spähte hinaus. Sie waren auf der Eisenbahnbrücke über den Meeresarm, der Rügen vom Festland trennte.
    Kaum hatten sie die Insel erreicht, wurde die Luft wärmer, und beide schliefen ein. Erst das Rütteln des Waggons, als der Zug abbremste, weckte sie. Vor ihnen, hoch aufragend, erkannte Peter die dunkle Silhouette des Lichtmasten eines Rangierbahnhofs.
    »Gott sei Dank herrscht Verdunkelung«, sagte er. Doch es war Vollmond, und um sie herum waren Rampen, Hebebühnen, Kräne und Bagger zu erkennen, die in silbriges Licht getaucht waren. Nicht gerade ideal für blinde Passagiere auf einem offenen Waggon.
    Der Zug verlangsamte zum Schritttempo. Vorsichtig spähten Peter und Anna über den Rand des Waggons, der sich einer Rampe näherte. Die Lokomotive kam kreischend zum Stehen und stieß einige kurze Pfiffe aus, um ihre Ankunft zu signalisieren.
    Etwa dreißig Meter entfernt stand ein Wachposten mit geschultertem Gewehr. Er hatte ihnen den Rücken zugewandt, und der einfahrende Zug schien ihn nicht im Mindesten zu kümmern, unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen und sang dabei vor sich hin. Klar wie eine Glocke tönte seine Stimme durch die Nacht.
    »Wenn das hier Sassnitz ist, müssen wir abspringen und den Weg zum Hafen suchen«, sagte Peter.
    Abermals spähten sie über den Rand. Ein zweiter Wachmann hatte sich zu seinem Kameraden gesellt. Und aus der Ferne näherten sich Laternenlichter von Bahnarbeitern. »Ich glaube, gleich wird es hier vor Leuten nur so wimmeln«, sagte Anna.
    Mit einem Schlag erkannten sie, dass sie in der Falle saßen. Jeder, der die Rampe betrat, konnte in den Waggon sehen. »Hier können wir nicht bleiben«, sagte Peter. »Außerdem wird unser Waggon wahrscheinlich mit Kohle beladen.«
    »Was sollen wir bloß tun?«, fragte Anna.
    »Wir müssen uns unter dem Waggon verstecken und dann versuchen zu verschwinden, kurz bevor der Zug sich wieder in Bewegung setzt.«
    »Aber woran merken wir das?«, wollte Anna wissen. Sie war einer Panik nahe.
    »Normalerweise pfeift die Lok vor der Abfahrt«, erklärte Peter. »Sobald ein Zug startklar ist, nehmen sich die Arbeiter den nächsten vor oder gehen zurück in ihre Baracke und trinken Kaffee …«
    »Aber was, wenn der Zug losfährt und wir liegen noch darunter?«, fragte Anna.
    »Hier können wir jedenfalls nicht bleiben«, erwiderte Peter. »Wir müssen einfach unser Glück versuchen.«
    Nachdem sie noch einmal hinausgelugt und sich versichert hatten, dass sie den Waggon ungesehen verlassen konnten, sprangen sie ab und krochen darunter. Es war ein elendes Versteck, zwischen Schotter und hölzernen Eisenbahnschwellen. Die Achsen des Waggons befanden sich direkt über ihren Köpfen, und der Gestank von Öl, Kohlenstaub und Chemikalien stach ihnen in die Nase. Das Gleis war gerade breit genug, dass sie nebeneinanderliegen konnten.
    Ein paar Minuten später hörten sie Schritte und Stimmen. »Die eine Hälfte nach Trelleborg«, sagte jemand. »Die andere nach Rostock. Für das Rangieren werden wir die ganze Nacht brauchen.«
    Regungslos und schweigend lagen Peter und Anna im Gleisbett, während die Stimmen und Schritte über ihren Köpfen hallten. Solange die Männer auf der Rampe blieben, fühlten sie sich sicher. Jenseits des Rangiergeländes gab es einen FleckenBrachland mit hohem Bewuchs. Von Zeit zu Zeit wehte eine warme, salzige Brise herüber. Man spürte deutlich, dass das Meer nicht weit war.
    Ein Stück hinter ihnen wurden Waggons entkoppelt. »Wenn sie noch näher kommen«, flüsterte Peter, »werden sie uns entdecken.« Zehn Minuten später hörten sie das Schnaufen einer kleinen Lokomotive und kurz darauf das Geräusch langsam rollender Waggons. Peter sah sich um. Jetzt war das Zugende nur noch fünf oder sechs Waggons entfernt.
    Von vorn war ein Ächzen zu hören, das immer näher kam, bis schließlich die Achse über ihren Köpfen knarzte und die Räder in Bewegung kamen. Die Lokomotive rollte rückwärts auf sie zu.
    Peter blickte nach oben. Zwischen den Wagen baumelten schwere Verbindungsketten. Wenn eine von ihnen sie am Kopf träfe, würde es zwar wehtun, aber mehr würde wohl nicht passieren, vor allem wenn der Zug sich weiterhin so langsam bewegte. Doch es war ein schlimmer Fehler gewesen, sich nebeneinanderzulegen. Sie hatten zu wenig Platz; eine falsche Bewegung, und eines der Räder würde ihnen eine Hand oder einen Fuß abtrennen.
    »Anna, wir müssen uns hintereinanderlegen. Du bleibst hier, ich
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