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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer
Autoren: Baumhaus
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ist oder weil sie nach uns suchen.«
    Auch Ula war beunruhigt. »Was sollen wir bloß tun?«, fragte sie sich selbst.
    »Am ungefährlichsten wäre es, einfach später noch einmal wiederzukommen«, meinte Peter.
    Anna hielt das für eine gute Idee. »Na schön«, sagte Ula. »Gehen wir zurück zum Hafen und tun so, als wären wir Touristen.« Dann überlegte sie es sich anders. »Nein. Besser, wir bleiben nicht im Zentrum. Vielleicht suchen sie auch in der Stadt nach uns.«
    Also machten sie einen Strandspaziergang, der von der Stadt wegführte. Das war ein guter Einfall, denn ihnen begegnetennur wenige Menschen und kein einziger Soldat oder Polizist, der unangenehme Fragen gestellt hätte.
    Als sie nachmittags zum Bahnhof zurückkehrten, müde vom Tragen ihrer Taschen in der heißen Sonne, befand sich vor dem Eingang immer noch eine kleine Schlange. Die Kontrollstelle war unverändert besetzt.
    »Vielleicht sollte ich allein hineingehen und eine Fahrkarte nach Sassnitz kaufen, und ihr kommt ein wenig später nach. Falls sie wirklich nach uns suchen, halten sie bestimmt nach einer Gruppe von drei Leuten Ausschau«, sagte Ula.

Kapitel siebenunddreißig
    11. August 1943
    Peter sah Ula hinterher, als sie Richtung Bahnhof davonging. Wie ähnlich Mutter und Tochter sich doch sind , dachte er bei sich. Ula war immer noch schlank und fast genauso groß wie Anna, und beide steckten ihr Haar auf die gleiche Weise hoch. Sie hatten sogar denselben anmutigen Gang. Peter konnte sich gut vorstellen, dass ein schäkernder Verkäufer oder Postbote Ula fragte, ob sie Annas ältere Schwester sei. Aber plötzlich kam es ihm abwegig vor, in einer Situation wie dieser solche Gedanken zu haben. Schließlich könnte es sein, dass er sie hier und jetzt zum letzten Mal sah. Zugleich war er unendlich müde, nicht nur von der Reise, sondern auch von der ständigen unterschwelligen Angst, der fortwährenden Anspannung, nichts Falsches zu sagen und unablässig auf der Hut zu sein. Jetzt erinnerten ihn die Augustsonne und die salzige Seeluft an glücklichere Zeiten, als er sich noch um nichts sorgen musste. Wie gern wäre er wieder acht Jahre alt gewesen, in den Ferien in Dąbki an der polnischen Ostseeküste, an einem goldfarbenen Strand, der sich bis ins Unendliche erstreckte.
    Es war ein furchtbares Gefühl, die Freiheit so zum Greifen nahe zu haben. Nur noch knapp hundert Kilometer trennten sie von Schweden. Höchstens eine Tagesreise. Hoch über ihren Köpfen zog eine nach Norden steuernde Maschine im wolkenlosen Himmel einen weißen Kondensstreifen hinter sich her.Das Flugzeug würde in weniger als einer Stunde in Schweden landen. Er wünschte, sie würden jetzt in diesem Flugzeug sitzen.
    »Möglich, dass sie eine halbe Ewigkeit braucht«, sagte Anna. »Verschwinden wir lieber von hier und sehen uns die Sache aus sicherer Entfernung an.«
    Die Vorstellung, seinen müden Körper die Straße zurück zu schleppen, die sie gerade gegangen waren, gefiel Peter überhaupt nicht, aber Anna hatte recht. »Wir müssen vorsichtig bleiben«, sagte sie. »Es wäre schrecklich, jetzt gefasst zu werden.«
    Erschöpft zogen sie mit ihren Taschen davon und warteten. Und warteten. Die Kirchturmuhr in der Nähe schlug jede Viertelstunde, und so verging der Nachmittag. Anna wurde unruhig. Sie verzog das Gesicht, um nicht in Tränen auszubrechen. »Man hat sie erwischt. Ich weiß es. Mutti und Vati, beide weg«, sagte sie. »Wie kann Gott nur so grausam sein?«
    Peter legte einen Arm um sie. Was sollte er sagen? Inzwischen wurden sie schon von Passanten angestarrt.
    »Wir wissen doch gar nicht, was passiert ist«, sagte er. »Es kann alle möglichen Gründe geben, warum sie nicht zurückgekommen ist.«
    Doch Anna schüttelte den Kopf. »Soll ich nachsehen gehen?«, fragte Peter. »Vielleicht steht sie noch in der Schlange, oder sie wartet, dass der Fahrkartenschalter wieder öffnet.«
    Anna wischte sich eine Träne weg. »Sie wäre herausgekommen, wenn der Schalter geschlossen hätte«, sagte sie ganz leise. »Sie hätte uns Bescheid gegeben. Geh nicht hinein. Es ist zu gefährlich.«
    Als die Kirchturmuhr sechs schlug, war ihnen klar, dass es keinen Sinn mehr hatte, an der Stelle zu bleiben, wo sie waren.
    »Wir müssen weg von hier«, sagte Anna. »Wenn sie uns wirklich suchen kommen, ist es viel zu auffällig, hier an der Straße zum Bahnhof herumzustehen.«
    »Aber wenn wir weggehen, wie können wir sie dann wiederfinden, falls man sie doch gehen lässt?
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