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Ausgespielt

Ausgespielt

Titel: Ausgespielt
Autoren: Sue Grafton
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haben, dass sie ein Manöver plante, denn warum sonst hätte er sich mich schnappen sollen?
    Beck stand auf und trat mit der Schuhspitze gegen den Koffer.
    Ich hatte Wut erwartet, doch stattdessen wirkte er eher nachdenklich. Vielleicht gefiel es ihm, dass Reba ihren Zweikampf zu solchen Extremen aufbauschte, da er sich seinen Sieg am Schluss umso süßer ausmalte. Er wandte sich um und ging auf den Aufzug zu.
    Wir drei folgten ihm, wobei unsere Schritte in den weiten, leeren Räumen hallten wie das Getrampel einer Herde wilder Tiere. Der Typ mit dem verletzten Auge wahrte den ständigen 424
    Druck auf meinen Arm, den er mir auf den Rücken gedreht hatte. Hätte ich mich bewegt, hätte ich mir den Arm ausgerissen wie einen gebratenen Hühnerflügel. Die Aufzugtüren gingen auf, und wir stiegen alle vier ein. Beck drückte den Knopf, die Türen schlossen sich, und der Aufzug begann seine Fahrt nach oben.
    »Warum hier?«, fragte ich.
    »Damit Reba weiß, wo sie mich erreichen kann. Wir fechten hier nämlich ein kleines Intelligenzduell aus, falls Sie es noch nicht gemerkt haben.«
    »Das war kaum zu übersehen.«
    Beck gönnte mir ein flüchtiges Lächeln.
    Die Türen öffneten sich auf der Ebene mit den Geschäften.
    Wir verließen den Aufzug im Beckwith-Haus und trotteten durch die marmorne Halle zu den öffentlichen Aufzügen hinüber, die uns in den dritten Stock bringen würden. Ich wandte mich zu Willard um, der an seinem Tresen saß. Er ließ uns kommentarlos passieren, seine Miene eine ewig gleiche, gut geschnittene, leere Fläche. Ich sandte ihm einen Blick, von dem ich hoffte, dass er flehentlich war, bekam aber nichts zurück.
    Wie konnte ein so attraktiver Mann nur so wenig Leben in den Augen haben? Sah er denn nicht, was los war? Beck war sein Chef. Vielleicht bekam er ja einen Batzen Geld dafür, dass er in die andere Richtung sah.
    Wir fuhren in den dritten Stock. Die Aufzugtüren öffneten sich in künstlich beleuchtete Bürofluchten, deren Farbgebung so grell war wie ein Disneyfilm. Lange, mit grünem Teppichboden ausgelegte Flächen, helle abstrakte Gemälde, die in einer Reihe in den Fluren hingen. Gesunde Pflanzen, moderne Möbel. Ich rechnete damit, in Becks Büro geführt zu werden, doch er schob mich um die Ecke zum Lastenaufzug. Dort drückte er den Rufknopf und wartete, bis die Türen aufgingen. Er trat an die Rückwand der Aufzugkabine und zog die graue, gesteppte 425
    Polsterung beiseite. Dann gab er den Code in das Tastenfeld an der Kabinenwand ein. Die Tür zu seinem Zählraum glitt auf.
    Beck drückte den Halteknopf, trat beiseite und wandte sich zu mir um. Die Hände hatte er wieder in die Taschen seines Regenmantels gesteckt.
    Niemand sprach ein Wort.
    Nur am Rande nahm ich die Zähl- und Bündelmaschinen
    wahr. Gleichzeitig bemerkte ich, dass sämtliche losen Geldscheine aus den Schachteln entfernt worden waren und nun verpackt und gestapelt auf der Arbeitsfläche lagen.
    Was ich allerdings unmöglich übersehen konnte, war Marty.
    Man hatte ihn an einen Stuhl gefesselt und derart verprügelt, dass er kaum wieder zu erkennen war. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Selbst ohne sein Gesicht genau zu sehen, wusste ich, dass er tot war. Die Rundung seiner Wange war geschwollen und aufgeplatzt, und an seinem Haaransatz klebte getrocknetes Blut. Blut war ihm aus den Ohren gelaufen und an seinem Hemdkragen geronnen. Unwillkürlich stieß ich einen Laut aus und riss den Kopf herum, um den Anblick
    auszublenden. Schmerz durchzuckte mich, als hätte man mich mit einem Elektroschocker attackiert. Meine Handflächen wurden schlagartig feucht, und eine Hitzewelle stieg in mir auf.
    Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Kopf wich und meine Beine nachgaben. Der Typ mit der Augenbinde fing mich auf und hielt mich kurz fest. Beck drückte einen Knopf, und die Tür zum Zählraum glitt wieder zu.
    Meine Beine waren wie Gummi, als ich zu Becks Büro geführt wurde, wo ich auf die Couch sank und die Hände vors Gesicht schlug. Das Bild von Marty war wie ein Foto, das ich nun als Negativ sah, hell und dunkel vertauscht. Über meinem Kopf fand ein Gespräch statt – Beck instruierte die beiden Typen, die Leiche fortzuschaffen und zu entsorgen. Bestimmt würden sie Marty im Lastenaufzug ins Erdgeschoss transportieren und ihn von dort aus durch den Wartungskorridor in die Tiefgarage 426
    bringen. Dann würden sie ihn in den Kofferraum seines eigenen Wagens stecken und seine Leiche irgendwo am
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