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Auserwaehlt

Auserwaehlt

Titel: Auserwaehlt
Autoren: Silke Nowak
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Clara hatte eine Frau ohne Gesicht gesehen, weil der Ehemann in
einem Rausch der Zerstörung darauf eingestochen hatte.
„Im Koffer der Frau war ein Laptop, ist schon unterwegs ins Labor“, hörte Clara
den hageren Spurenermittler wieder.
„Danke, Richard.“ Kranich legte ihre Hand auf seinen Arm. Er lächelte ihr zu,
bevor er sich wieder an die Arbeit machte. Seine Augen blieben dabei vollkommen
reglos.
Clara bekam eine Gänsehaut.
„Richard und ich haben damals an dem Kindsmordfall von 89 zusammengearbeitet“,
erklärte Kranich, die Claras Abscheu zu deuten wusste. „Er wittert jede Spur so
zuverlässig wie ein Hund. Ich bewundere ihn.“
Ich nicht, dachte Clara. Aber das mit dem Computer war gut.
„Sehr gut“, sagte Clara. Über den Computer eines Opfers ergab sich fast immer
ein Hinweis auf seine Identität.
„Wo bleibt Johannes eigentlich?“ Hagen blickte durch seine Digitalkamera zu
ihnen herüber.
„Wenn man vom Teufel spricht.“ Kranich deutete auf den alten Jaguar, der mit
knirschenden Reifen den Waldweg entlangkam. Am Steuer saß der Rechtsmediziner
Johannes Teufel und hob die Hand.
Von Weitem wirkte er wie jemand, der mit dem Dreck der Realität noch nie in
Berührung gekommen war. Er trug ein weißes Hemd mit der Lässigkeit eines
Jachtbesitzers. Sein Gesicht wirkte ebenso teuer, sein Haar filmreif. Clara
fragte sich zum wiederholten Male, wie er die Wellen so präzise hinbekam, bei
ihren eigenen Locken schaffte sie das nie. Er war bereits leicht angegraut,
doch einzelne Strähnen verrieten noch, wie er eigentlich war: pechschwarz. In seinen
blauen Augen stand das Funkeln von Menschen, die sich dafür entschlossen
hatten, das Leben zu genießen.
Doch der Eindruck des wohlbehüteten Millionärs veränderte sich, sobald er näher
kam. Die Narben in seinem Gesicht sprachen eine andere Sprache.
„Johannes“, begrüßte Kranich ihn tadelnd. „Ich hoffe, du bist steril.“
„Ich bin frisch geduscht, Margot!“ Die beiden lächelten sich an. Er und Kranich
kannten sich seit über dreißig Jahren, doch das war nicht der Grund, warum sie
ihn ohne Schutzkleidung zur Leiche vorließ. Die Spurenermittler waren hier
fertig. Sie machten jetzt drüben weiter.
„Was ist das?“ Clara hatte am Hals der Toten einen seltsamen Fleck entdeckt.
Teufel kniete sich neben Clara, sie spürte seinen Oberarm an ihrem. Seine
Muskeln bewegten sich, als er die Latexhandschuhe überstreifte.
„Definitiv kein Mückenstich.“ Teufel spreizte das Einstichloch mit den Fingern.
„Sieht aus wie von einer Spritze.“
„Eine Spritze?“ Kranich beugte sich über die Beiden.
„In den ... Hals?“ Clara schauderte.
„Eine Spritze!“ Kranich klang ärgerlich.
„Den Raubmord können wir uns sonst wo hinschieben“, sagte Kranich und blickte
den Profiler an.
„Zumindest müsste die Hypothese modifiziert werden“, gab Hagen zu.
Alle schwiegen. Irgendwo raschelte es in den Blättern.
„Für die Todesursache scheint mir der Blutverlust ohnehin zu gering.“ Teufel
hob den Kopf der Toten vorsichtig an und begutachtete die Kopfverletzung.
„Andererseits – das Gras schluckt“, gab er zu bedenken.
„Ist das ein Genickbruch?“ Kranich gefiel die Schieflage nicht.
Teufel bewegte den Kopf leicht hin und her. „Die Wirbelsäule ist intakt.“
Nachdenklich trat Kranich zurück, als Teufels Mitarbeiter die Leiche für den
Transport vorzubereiten begannen. Clara und Hagen folgten ihr.
Sie begannen, ihre Schutzkleidung abzulegen. Kranich trug, wie immer im Sommer,
Jeans und ein einfaches T-Shirt; Kleidung im Polizeidienst musste zweckdienlich
sein, das war ihre Meinung. Deshalb trug sie auch T-Shirts ohne Ärmel; der
Hitze wegen, wie sie betonte. Dass ihre durchtrainierten Oberarme dabei gut zur
Geltung kamen, nahm sie in Kauf. Kranich beobachtete Hagen. Diesen Typus von
Beamten hatte es früher in Berlin nicht gegeben. Hagen war ein vollendeter
FBI-Mann, schon immer gewesen, als habe er sich nach Filmen und Kriminalromanen
erschaffen: Seine Gesichtszüge waren eckig, seine Schläfen vorzeitig ergraut,
er trug auch im Sommer einen perfekt geschnittenen Anzug, bevorzugt mit
schmaler Krawatte, an der eine silberne Klammer steckte. Er war gut gebaut, der
Anzug diente ihm nicht dazu, einen Bierbauch zu kaschieren, sondern den
muskulösen Körper seriös erscheinen zu lassen. Seine Hemden waren weiß und
makellos, immer. An seinem rechten Ringfinger trug er einen silbernen Ring mit
einem dunklen Stein, den er nur abnahm, wenn er im
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