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Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Titel: Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
Autoren: Emily Byron
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warst dir bewusst, dass dein Handeln ein Risiko barg, und bist es trotzdem eingegangen. Das Schicksal ist launisch und mag es nicht, wenn man ihm ins Handwerk pfuscht. Aber ab und zu hat es auch ein Einsehen. Du scheinst einen solchen Moment der Einsicht erwischt zu haben, Aline, denn dein Angebot wurde angenommen. Bitte nimm du nun meine Entschuldigung stellvertretend für Mael an. Er ist ein armer, verwirrter Junge, den ich selber für stärker hielt, als er in Wirklichkeit ist. Er war nie einfach, das nicht, aber es war letztendlich mein Versagen, das ihn in seinen Grundfesten erschüttert hat.“
    Abigail blieb stehen und fasste nun auch nach meiner anderen Hand.
    „Bitte, Aline. Vergib Mael. Gib ihm nicht die Schuld für etwas, das ich begangen habe. Ich war schwach und habe in meiner Verzweiflung egoistisch gehandelt, ohne daran zu denken, was für Konsequenzen es für meine Söhne haben könnte. Erst als Mael an Kians Stelle vor mir stand, wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Doch meine Reue kam zu spät. Mael hat in diesem Augenblick geweint. Noch nie zuvor hatte er je eine Träne vergossen. Mein Handeln hat ihn gebrochen. Das ist etwas, was ich mir als Mutter niemals vergeben werde. Darum bitte ich dich, Aline, von Bewahrerin zu Bewahrerin, bitte vergib meinem Kind. Ich weiß, es ist viel verlangt, doch nur durch deine Vergebung kann seine Seele Frieden finden und beginnen zu heilen.“
    Im ersten Moment wollte ich mich von Abigail lösen und sie voller Empörung fragen, wer sich andersrum im Gegenzug darum scherte, dass nun dank Mael meine Mutter nach ihrem Mann auch noch ihre Tochter verloren hatte. Ich wollte sie anschreien, wer hierfür wem Vergebung schuldig war.
    Doch dann blickte ich in ihre mitfühlenden grünen Augen. In ihnen erstreckten sich die Weiten wehender Graslandschaften, auf denen der Morgentau tanzte, Moose, die an Baumrinden wuchsen und Lichtungen, die im Sonnenlicht erstrahlten. Ich erkannte, wer mich in Wirklichkeit um Vergebung bat. Es war nicht nur Abigail.
    „Möchte denn Daron, dass ich Mael vergebe?“
    Ein kurzes Glitzern ließ ihre Augen aufleuchten.
    „Ja, das möchte er. Er ist sich inzwischen bewusst, warum sein Bruder so gehandelt hat, wie er es tat. Im Grunde seines Herzens wusste er es schon die ganze Zeit.“
    Einen kurzen Moment haderte ich mit mir und fragte mich selber, ob es mir möglich war, wirklich echte Vergebung für Mael aufzubringen. Ich dachte daran, wie schwer es ihn getroffen haben musste, seine Mutter zu verlieren, indem er sie für seinen Bruder Kian geholt hatte. Sie hatte letztendlich durch den Betrug an seinem Vater seinen Geist zerbrochen. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich nicht vielleicht auch aus Trauer den Verstand verloren? Egal, wie ich es drehte und wendete, ich konnte diesen Gedanken nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen.
    Wie hieß es immer so schön?
    Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.
    Meine Steine waren mir schon vor langer Zeit ausgegangen.
    Mit aufrechtem Blick begegnete ich Abigails und teilte ihr mit ehrlicher Überzeugung mit, dass ich Mael hiermit vergeben würde.
    Ein erleichtertes Lächeln huschte über ihr Gesicht, und plötzlich begann der Wind merklich aufzufrischen, so sehr, dass ich dachte, er würde mich umwehen. Hektisch fasste ich nach Abigails Händen, doch sie ließ mich los und trat einige Schritte von mir zurück.
    „Keine Bewahrerin verliert ihre Reinheit, wenn sie sie aus einem uneigennützigen Grund verschenkt, Aline“, rief sie mir zu, während der Wind immer stärker und stärker blies.
    „Und keiner Bewahrerin ist es erlaubt, sich eigenmächtig das Leben zu nehmen. Erst recht nicht, wenn sie es für das Leben eines anderen opfert. Du bist eine echte Bewahrerin und wirst es so lange sein, bis du und Daron euch dafür entscheidet, euren Weg in die Anderswelt zu beschreiten. Du bist der Ewigen wahrhaft würdig, Aline, würdiger als ich es jemals war. Du hast deine Prüfung mit Bravour bestanden. Geh zurück und sage meinen Söhnen, dass ich sie liebe. Geh zurück in deine Welt und mache Daron glücklich. Ich danke dir für deine Entscheidung, Aline. Leb wohl!“ Mit einer Hand hielt sie sich ihre langen Haare zurück, mit der anderen winkte sie mir wehmütig zum Abschied.
    Ich wusste nicht, was mit mir passierte, und blickte panisch um mich. Der Wind, der mich ergriffen hatte, schien sich nur um mich zu drehen, denn Abigail stand weiter in diesem wunderschönen Garten, in dem
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