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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten
Autoren: Andreas Scheffler
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Bürgermeister anrufen. Einmal aber wurde es richtig schlimm für mich. Da war ich etwa sechzehn. Ich musste zu einem nicht anwesenden Nachbarn gehen, den ich nicht kannte, und mit ihm einen Schnaps trinken. Dies musste ich mir darüber hinaus schriftlich bescheinigen lassen.
    Ich bin schon immer sehr schüchtern gewesen, und zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht annähernd betrunken. Und ich wusste nicht, dass die Familie meines Bruders mit diesem Nachbarn im Clinch lag.
    Etwa um elf klingelte ich bei Familie Killisch. Die Fenster waren hell erleuchtet. Niemand öffnete. Ich gab nicht auf und klingelte noch mal. Endlich hörte ich schlurfende Schritte. Ein dicker Herr in Pantoffeln und Strickjacke öffnete die Tür. »Was willst du denn um diese Zeit?« Er duzte mich, aber was soll’s, schließlich war Silvester. »Ich komme von der Party bei Schefflers. Wir spielen ein lustiges Spiel, und ich muss mit Ihnen einen Schnaps trinken.«
    »Habt ihr sie nicht mehr alle?«
    »Tut mir leid, wenn ich Sie störe. Aber es geht ja ganz schnell. Wir trinken einen Schnaps, Sie bestätigen mir das auf einem Zettel, und schon bin ich wieder weg.«
    »Hast du einen Schnaps mit?«
    »Oh, Tschuldigung, daran hab ich nicht gedacht.«
    »Ist schon gut, dann komm mal rein.«
    Wir betraten einen Flur und dann ein Wohnzimmer. Die Hausfrau saß auf dem Sofa, im Fernseher lief eine Silvesterparty. Auf dem Couchtisch standen eine Flasche Bier, ein Glas Wein und eine Etagere mit Knabberzeugs.
    »Mutter, wir haben Besuch«, sagte Herr Killisch. Ich gab Mutter die Hand. »Er kommt von Schefflers und soll mit mir einen Schnaps trinken. Irgendein Spiel …«
    »Setzen Sie sich doch, junger Mann«, sagte Frau Killisch und wandte sich wieder dem Fernsehprogramm zu. Ich setzte mich, und der Hausherr holte eine frische Flasche Echter Gütersloher aus der Anrichte, ein klarer Kornbrand, der unscheinbar daherkommt, einen aber plötzlich und unerwartet zu einem Pflegefall werden lässt. Herr Killisch setzte sich übers Eck zu mir, stellte zwei Pinnchen vor uns hin und sagte: »Na denn man Prost!« Ich stürzte den Klaren hinunter und stand auf.
    »Vielen Dank, wenn Sie mir jetzt noch auf einem Zettel …«
    »Auf einem Bein kann man nicht stehen«, hörte ich, und sein Blick sagte mir, dass jeder Widerstand zwecklos sein würde. Ich setzte mich wieder, und wir tranken.
    »Aller guten Dinge sind drei.« Ich wollte protestieren, doch er hatte schon nachgeschenkt. Seine Frau sagte die ganze Zeit über nichts und verfolgte die Silvesterparty im Fernsehen.
    »Ein vierfaches Band knüpft umso fester.« Ich hielt mit, und irgendwo blitzte in meinem Gehirn der Eindruck auf, als ob Herr Killisch diabolisch grinste. Ob die weiteren Schnäpse auch durch Sprüche eingeleitet wurden, weiß ich nicht mehr.
    Kurz vor zwölf sei ich wieder bei der Party aufgekreuzt. Alle hätten das Spiel schon längst abgebrochen gehabt. Um Mitternacht hätte ich noch einen Sekt mitgetrunken, aber man habe mich dann schnell ins Bett bringen müssen. Ach ja, einen Zettel hätte ich nicht dabeigehabt; dafür aber eine leere Flasche Echten Gütersloher.

Hallo, Herr Bademeister!
    Was macht ein 18-jähriger Gymnasiast, wenn er an jedem Morgen beim Eintreffen auf dem Schulhof, in der Pause und auch oft nach Schulschluss von einer Gruppe Quintaner mit »Hallo, Herr Bademeister!« begrüßt wird? – Er wird stinksauer. Und dieses Sauer-Sein steigert sich von Tag zu Tag. An jedem Morgen also lauerte mir eine Gruppe von Zwergen auf und rief mehrfach »Hallo, Herr Bademeister!«, um mich zu ärgern. Ich habe mich geärgert. Und wie! Selbst wirkliche Bademeister ärgern sich über diese Titulierung. Sie wollen lieber »Schwimmmeister« genannt werden, weil dies den sportlichen Aspekt der Wasserbegehung betont gegenüber dem eher trägen »Baden«. »Schwimmmeister« konnotiert eine Meisterschaft im Schwimmen; wer dagegen möchte schon Meister im Baden sein.
    Ich war weder Bade- noch Schwimmmeister. Ich war Badewärter, eine anspruchslose Arbeit, die ich in mehreren Sommern im Gütersloher Hallenbad ausführte. Man hätte es auch »Kabinenwart« nennen können. Ich musste bei den Herren die Umkleideräume, die Duschen und die Toiletten sauber halten; und wenn der Kassenautomat mal wieder kaputt war, hatte ich den Maschinenmeister zu verständigen. Gelegentlich musste ich einschreiten, wenn Jugendliche durch die Gänge tobten oder über Gebühr die Duschen blockierten. Auch am
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