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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten
Autoren: Andreas Scheffler
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mal richtig aufzumischen; der eine Themenparty unter dem Motto »Bei Roland Koch zu Hause« veranstaltet hatte. Klaus, der sich Ende der 80er-Jahre einmal selbst anonym bei Aktenzeichen XY ungelöst angeschwärzt hatte, um zu sehen, was dann passiert. Seine Lebensphilosophie lautete: »Wer Sorgen hat, hat wenigstens noch Likör.« Und er trug immer sehr seltsame Kleidung. Ich selbst habe nie irgendwelchen Modeschnickschnack mitgemacht. Meine Mode heißt »Billig« oder »Ist vom Bruder, kann man aber noch tragen«. Wenn ich doch mal Mode anziehe, ist der Trend schon längst wieder vorbei.
    Eines Tages nun stand Klaus vor meiner Tür und sagte: »Andreas, du bist jetzt siebenunddreißig, in den besten Jahren quasi.«
    »Das sind meine besten Jahre?« Ich war entsetzt.
    »Klar, von nun an geht’s bergab. Du musst endlich mal was richtig Verrücktes machen.«
    Ich ahnte, was er meinte: »Sport?«
    »Quatsch, was richtig Abgefahrenes.«
    »Ich hab mir vor einem Monat einen Gehrock gekauft.«
    »Nicht verrückt genug.«
    »Von meinem eigenen Geld.«
    »Okay, aber pass mal auf.«
    Er holte eine Hose aus einer Plastiktüte. »Die ist für dich; hab ich von meinem Cousin; dem ist sie zu klein.«
    Zu klein?! Die Hose, die er mir wie ein Zelt vor die Nase hielt, würde Ottfried Fischer passen und wahrscheinlich auch Dieter Pfaff. Womöglich würde jeder in ein Bein passen.
    »Ich weiß«, sagte Klaus, »der Trend liegt schon wieder in den letzten Zügen, aber das kommt dir doch entgegen. Los, anziehen.«
    Klaus musste man gehorchen. Also stieg ich widerwillig in den Sack hinein und band einen Gürtel um die Taille. Der Schritt hing auf Kniehöhe, die Beine waren erheblich zu lang. »Das tragen junge Leute seit ein paar Jahren, na ja, einige noch. Wie fühlst du dich?« – Ich kam mir lächerlich vor. In diesen Hosen könnte man Windeln tragen, und keiner würde es sehen. Ich trug für gewöhnlich einen engen Slip. Wofür war nur der viele Platz?
    Klaus war begeistert. »Und nun raus auf die Straße!«
    »Was? Ich werde zum Gespött meines Wohnviertels. Ich bin zu alt für so’n Scheiß!«
    »Quatsch, setz diese Sonnenbrille auf, dann erkennt dich keiner.«
    »Klaus«, sagte ich, »ich habe Sorgen.« Sofort reichte er mir ein Fläschchen Likör. »Große Sorgen.« Er verstand und gab mir den Rest der Dreierschachtel Kuemmerling. Ein wenig gestärkt folgte ich Klaus hinaus auf die Straße. Vor uns lag der Arkonaplatz in sommerlicher Heiterkeit, die durch meine Sonnenbrille und die Kleidung allerdings erheblich eingeschränkt war. Die Hose labberte an mir herunter, und ich fühlte mich, als hätte ich hineingemacht. Hatten die jungen Leute vielleicht wirklich Windeln an, weil sie selbst zum Aufs-Klo-Gehen zu träge waren? Ich tadelte mich und war froh, diesen Gedanken nicht laut geäußert zu haben. Schon nach wenigen Metern bemerkte ich, dass die Unterkanten meines Beinkleides bereits verschmutzt waren. Klaus übergab mir aus den prall gefüllten Seitentaschen seiner Hose einen Likör. Wir gingen stupide die Granseer Straße entlang, ich im Rahmen meiner Möglichkeiten ständig Ausschau haltend nach Bekannten, vor denen ich in einen Hauseingang hätte flüchten müssen.
    »Was hast du eigentlich in deiner Pubertät gemacht?«, fragte Klaus.
    »Nichts«, sagte ich, »und du?«
    »Gesoffen, gekifft, Punk-Musik gehört, Liebeskummer gehabt und auf ein Auto gespart. Und du?«
    »Ich war bei den Jusos.«
    »Ah ja.« Er machte noch eine Schachtel Kuemmerling auf. »Und sonst?«, fragte er.
    Und ich verfiel in eine milde Schwärmerei über meine Zeit als politischer Aktivist. Die Geschichten über Seminare mit wilden Abenden, über Schlägereien mit Nazis, über Hausdurchsuchungen; Flugblätter verteilen und Infostände. Wie man dauernd angepöbelt wurde. Wie ich gleichzeitig in zwei Frauen verknallt war. Wie gesoffen wurde und politisiert; und ständig Krach mit den Alten. Die ganze blöde Pubertätskacke eben. Und während ich das erzählte, ahnte ich schon bald, dass Klaus irgendwann mit einem furchtbar moralischen Schluss würde angeschissen kommen.
    Aber letzten Endes landeten wir nur in unserer Stammkneipe. Da war Party mit Themenabend »Wie wir, zwanzig Jahre jünger, heute rumlaufen würden«. Irgendwann sangen wir alle zusammen die Internationale. Und danach kann bekanntlich nichts mehr kommen.

Kinder liegen mir nicht
    Ich habe bereits ein Haus gebaut, eines aus Holz zwar, aber ein richtiges habe ich in Angriff genommen.
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