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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt
Autoren: Douglas Kennedy
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einziges in Umlauf gebrachtes Teilchen – meine abfälligen Bemerkungen über die Ehe – führte zu einem folgerichtigen, wenn auch verheerenden Ergebnis: zur Scheidung. Kein Wunder, dass Mom sich dieser auf Erfahrungswerten beruhenden Lehre anschloss. Denn ohne sie hätte sie selbst Verantwortung für das Scheitern ihrer Ehe übernehmen müssen.
    Doch in einem hatte sie absolut recht: Wäre dieses Teilchen an jenem Abend nicht in Umlauf gebracht worden, hätte das Ergebnis vielleicht anders ausgesehen – und unser beider Leben wäre dementsprechend anders verlaufen.
    Ich denke in letzter Zeit viel darüber nach – darüber, dass das Schicksal nichts weiter ist als eine rein zufällige Anhäufung von Teilchen, die uns an ungeahnte Orte bringt. Und auch, dass die gesamte menschliche Existenz von Unschärfe oder Unbestimmtheit, sprich Ungewissheit, geprägt ist.
    Wer glaubt, dass das Leben linear verläuft, dem sei gesagt, dass ein anderer Physiker aus den 1920er-Jahren, Felix Bloch, die These aufstellte, der Weltraum sei ein Feld linearer Gleichungen. Heisenberg wollte nichts davon wissen.
    »Unsinn«, sagte er. »Der Weltraum ist blau, und darin fliegen Vögel.«
    Aber Geschichten funktionieren am besten, wenn man sie der Reihe nach, also linear, erzählt. Und diese Geschichte – meine Geschichte – muss der Reihe nach erzählt werden, so wie das Leben nur vorwärts gelebt und rückblickend verstanden werden kann. Die einzige Möglichkeit, in dem, was mir passiert ist, einen Sinn zu sehen, besteht darin, irgendeine tiefere Bedeutung hinter all der Willkür zu entdecken. Dass das ein Widerspruch ist, weiß ich selbst. Denn in einer rein willkürlichen Ordnung gibt es keine tiefere Bedeutung. Alles ist reiner Zufall. Auch, dass der Weltraum blau ist. Und Vögel darin fliegen.

TEIL EINS

1
    Womit soll ich beginnen? Wo soll ich anfangen? Das ist die große Frage, die sich jeder Autor stellen muss – etwas, das wir an der Uni endlos durchgenommen haben: Was ist der Ausgangspunkt einer Geschichte? Wenn man nicht gerade eine große Von-der-Wiege-bis-zur-Bahre-Saga schreibt – um mein Leben von Anfang an zu erzählen –, setzt eine Geschichte normalerweise dann ein, wenn die Hauptfigur bereits einen Teil ihres Lebens hinter sich hat. Im Grunde begleitet man diese Figur durch ihre Geschichte und lernt dabei Schritt für Schritt jene Kräfte und Ereignisse kennen, die sie in der Vergangenheit geprägt haben. Wie sagte David Henry, mein Doktorvater, in seinen Literaturtheorie-Vorlesungen immer so schön? »Alle Romane handeln von einer Krise und davon, wie eine oder mehrere Figuren diese Krise bewältigen. Und wenn wir einer Romanfigur zum ersten Mal begegnen, erleben wir sie in der Gegenwart. Doch wie wir alle hat auch sie eine Vergangenheit. Ob im wirklichen Leben oder in der Literatur – solange man die Vergangenheit eines Menschen nicht kennt, wird man ihn niemals wirklich verstehen.«
    David Henry. Vielleicht ist das ein guter Ausgangspunkt. Denn die rein zufälligen Umstände, die David Henry in mein Leben treten ließen, führten zu einer Entwicklung, die ich nie für möglich gehalten hätte. Andererseits lässt sich nie vorhersagen, wohin sich ein Teilchen bewegen wird …
    David Henry. Damals, Anfang der 1970er-Jahre, hatte er als junger Universitätsprofessor Aufbruch in eine Neue Welt geschrieben, ein Buch über den amerikanischen Roman, das aufgrund seiner guten Lesbarkeit und seiner ebenso kritischen wie originellen Thesen schnell von sich reden machte. Etwa um dieselbe Zeit veröffentlichte er auch noch einen Roman über das Erwachsenwerden in der Provinz von Minnesota. Danach sah man in ihm sofort einen modernen Sherwood Anderson, mit einem wachen Gespür für die Widersprüche des amerikanischen Kleinstadtlebens.
    »Wach« oder »aufgeweckt« waren die Adjektive, die damals stets im Zusammenhang mit David Henry genannt wurden. Aufbruch in eine Neue Welt gewann 1972 den National Book Award in der Kategorie Sachbuch. Im selben Jahr stand sein Roman auf der Shortlist für den NBA in der Kategorie Belletristik (eine seltene, zweifache Ehre), außerdem war er ein Finalist für den Pulitzer-Preis. Wenn man sich Fotos aus jener Zeit ansieht, begreift man, warum er so ein Medienphänomen war. Um es mit einem Zitat aus der Zeitschrift Esquire zu sagen, war er»mit seinen markanten Wangenknochen der Inbegriff des gut aussehenden Amerikaners, der auf eine seriöse Art cool ist: Clark Gable goes to Harvard
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