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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt
Autoren: Douglas Kennedy
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– wahrscheinlich eher weniger, wenn man berücksichtigt, wie viel ich rauche. Also kam ich nicht umhin zu denken: Ich habe genug von dir, genug von dem hier. Unsere Tochter hat recht: Es gibt kein Glück. Aber wenn ich diese Ehe hinter mir lasse, werde ich zumindest nicht mehr so deprimiert sein wie jetzt.
    Sie warf den Brief auf die Küchentheke. Eine lange Pause entstand. Zum ersten Mal hatte ich dieses merkwürdige traumatische Gefühl, der Boden gäbe unter mir nach.
    »Warum hast du ihm das gesagt?«, fragte sie. » Warum? Er wäre immer noch hier, wenn du …«
    Bei diesen Worten rannte ich nach oben in mein Zimmer, knallte die Tür hinter mir zu und ließ mich aufs Bett fallen. Aber ich brach nicht in Tränen aus. Stattdessen hatte ich das Gefühl, mich im freien Fall zu befinden. Worte haben eine Bedeutung. Worte bewirken etwas. Worte brennen sich ins Gedächtnis. Und meine Worte hatten dafür gesorgt, dass mein Vater seine Koffer gepackt hatte. Es war alles meine Schuld.
    Etwa eine Stunde später kam Mom hoch, klopfte an meine Tür und fragte, ob ich ihr jemals verzeihen könne. Ich antwortete nicht. Sie kam herein und fand mich zusammengerollt auf dem Bett vor, während ich ein Kissen umarmte.
    »Jane, Liebes … Es tut mir so leid.«
    Ich zog das Kissen noch fester an mich und weigerte mich, sie anzusehen.
    »Meist rede ich schneller, als ich denken kann.«
    Das sagtest du bereits.
    »Und ich war so außer mir, so verzweifelt …«
    Worte haben eine Bedeutung. Worte bewirken etwas. Worte brennen sich ins Gedächtnis.
    »Jeder von uns sagt Sachen, die er gar nicht so meint …«
    Aber du hast gemeint, was du gesagt hast.
    »Bitte, Jane. Bitte …«
    In diesem Moment hielt ich mir die Ohren zu, um sie nicht länger hören zu müssen. Und in diesem Moment schrie sie plötzlich: »Na gut, bitte sehr, dann sei eben so grausam und egoistisch wie dein Vater …«
    Anschließend stürmte sie aus dem Zimmer.
    Ich wollte wirklich grausam und egoistisch sein. Ihr ihre Bemerkung heimzahlen, ihren Narzissmus – auch wenn mir dieser Begriff damals noch nicht geläufig war. Nur leider bin ich nicht grausam und egoistisch veranlagt. Stur, ja. Auch reizbar … und mit Sicherheit verstockt, wenn ich verletzt wurde oder mich vom Leben ungerecht behandelt fühlte. Doch schon mit dreizehn fand ich, dass es nichts Schlimmeres gibt als Lieblosigkeit. Und als ich hörte, wie meine Mutter weinend auf der Treppe saß, zwang ich mich, meine schützende Embryonalhaltung aufzugeben und zu ihr zu gehen. Ich setzte mich neben sie auf den Treppenabsatz, schlang meinen Arm um sie und legte meinen Kopf an ihre Schulter. Sie brauchte zehn Minuten, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Anschließend verschwand sie für ein paar Minuten ins Bad und kam gespielt fröhlich wieder heraus.
    »Wie wär’s, wenn ich uns Sandwiches mit Speck, Salat und Tomate zum Mittagessen mache?«, fragte sie.
    Wir gingen beide nach unten und taten wieder mal so, als ob nichts geschehen wäre.
    Mein Vater hielt Wort: Er kam nie mehr zurück, ja er schickte sogar Möbelpacker, die seine Habseligkeiten mitnahmen und in das kleine Apartment brachten, das er in Manhattan auf der Upper East Side gemietet hatte. Innerhalb von zwei Jahren war die Scheidung durch. Danach sah ich meinen Dad nur noch sporadisch (er war meist beruflich im Ausland). Mom sollte nie wieder heiraten und zog aus Old Greenwich fort. Sie fand einen Job in der Stadtbücherei, der die laufenden Kosten abdeckte und sie tagsüber beschäftigte. Sie sprach nur selten über meinen Vater, nachdem er aus ihrem Leben verschwunden war – aber mir war schmerzhaft bewusst, dass sie seine Abwesenheit trotz ihrer unglücklichen Ehe betrauerte. Aber Mom hielt sich strikt an die Devise, dass man nie aussprechen darf, was einem das Herz zerreißt. Trotzdem spürte ich ständig diese Traurigkeit, die ihr ganzes Leben überschattete. Nachdem Dad weg war, fing Mom selbst an zu trinken, um einschlafen zu können. Sie wurde zunehmend abhängig von Wodka. Sie brauchte ihn, um jenen Schmerz zu betäuben, der sie insgeheim auffraß. Aber bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen ich ihre Sucht vorsichtig ansprach, sagte sie mir höflich, aber bestimmt, dass sie genau wisse, wie viel sie trinke – und durchaus in der Lage sei, ihren Alkoholkonsum zu kontrollieren.
    »Wie hieß es im Französischkurs noch so schön: À chacun son destin .«
    Jeder bekommt, was er verdient.
    Mom betonte immer, das sei einer der wenigen
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