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Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Titel: Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Autoren: FUEGO
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elterlichen Wohnzimmer und brummte und heulte vor mich hin. Zwar bewegte ich den Bus von außen, saß aber gleichzeitig eigentlich auch drin und fuhr. Ich hatte eine gespaltene Fahrerpersönlichkeit. Auch das Zischen der druckluftbetriebenen Türen beherrschte ich und konnte alle Stationen durchsagen: »Nächste Betheleck« oder »Tierpark Olderdissen«. Das machten Busfahrer damals noch selber, wobei sie auf zusätzliche Informationen wie »Ausstieg in Fahrtrichtung rechts« oder »Umsteigen zu den Straßenbahnen Richtung Schildesche, Baumheide und Sieker« verzichteten. Erwachsene beobachteten mein Treiben lächelnd, aber eher uninteressiert, heute hätte man mich wegen motorischer Störungen längst zum Kinderpsychologen gebracht: »Ihr Sohn hat omnibuspotente Wahnvorstellungen, er leidet an einem Omnibuskomplex, er will seinen Vater töten, um mit seiner Mutter Bus zu fahren.« Damals machte man sich über ein dauerbrummendes Kind nicht so viele Gedanken, die Erwachsenen redeten einfach lauter, dann hörten sie mich nicht.
    Den Bus selbst zu bewegen, wurde mir bald zu umständlich, und ich wandte mich dem Modelleisenbahnbau zu. Konstruktion, Verkabelung und Montage einer Bahnlandschaft interessierten mich nicht sonderlich, ich wollte eigentlich nur die Züge beim Fahren beobachten. Besonders liebte ich den dunkelroten Triebwagen oder Schienenbus, aus dessen Fenstern ein gleißend helles Licht flutete. Ich saß abends im dunklen Zimmer und sah dem Triebwagen zu, wie er seine Runden drehte. Strahlend glitt er durch die Pappmacheelandschaften, das Licht aus seinen Fenstern erleuchtete den Bahnhof Zindelstein und die verfallene Villa, von der ich einige Teile verloren hatte und sie deshalb als Bauruine verwendete. Ich konnte Stunden bewegungslos dasitzen und auf den Zug starren. Es war eine Art Meditation, eine Selbstfindung auf Schienen, natürlich nur im Maßstab HO. Wie hätte der Psychologe das wohl beurteilt? Litt ich an Zuganbindungsängsten? War ich etwa Triebwagengesteuert? Die Erfahrung muss mich jedenfalls nachhaltig geprägt haben, denn mein erstes eigenes Auto hatte die gleiche Farbe wie der Märklin-Triebwagen, die Innenraumbeleuchtung ließ jedoch zu wünschen übrig. Es war ein Ford 12m Turnier mit Lenkradschaltung, wobei ich bis heute nicht weiß, was 12m heißen sollte: 12 Meter Wendekreis oder 12 Meter lange Bremsspur? Ich besaß den Wagen zwei Jahre lang. In dieser Zeit war er höchstens drei Monate fahrbereit. Vor allem im Winter versagte er seinen Dienst. Der Wagen sah aber auch sehr gut aus, wenn er nur auf einem Parkplatz stand. Dann verbrauchte er kaum Benzin, sonst gerne mehr als 12 Liter. Deshalb wahrscheinlich 12m. Ich saß nachts oft am Fenster und schaute dem Wagen beim Parken zu. Ich sah, wie er nass und wieder trocken wurde und ich sah, wie er komplett unter Schneemassen verschwand. In einer kalten Winternacht zog ich mir einen Pullover über den Schlafanzug, stieg barfuß in meine Gummistiefel, entfernte den Schnee vom Türgriff, setzte mich in den Wagen und drehte zum Spaß den Zündschlüssel um. Der Wagen sprang zu meiner Überraschung sofort an. Ich schob den Schnee von der Windschutzscheibe und fuhr los, weil man nie wissen konnte, wann mir der Wagen wieder erlauben würde, ihn zu bewegen. Ich kam fast bis Wuppertal, musste dann aber umdrehen, weil ich mich nicht traute, mit Gummistiefeln und Schlafanzug zu tanken.
    Vielleicht hatte ich dem Wagen mit dem Anblick auch zu viel zugemutet, jedenfalls sprang er danach nie wieder an, und ich verkaufte ihn schweren Herzens.
    Danach begann eine längere autofreie Zeit, die durch den Erwerb eines wiederum dunkelroten VW Käfers beendet wurde. Über dieses Auto gibt es nichts zu sagen, was nicht schon hundertfach gesagt wurde. Im Sommer ging die Heizung nicht aus, im Winter war sie zu schwach, den Motor hatten Scherzkekse in den Kofferraum gezwängt, so dass man seine Koffer im leeren Motorraum transportieren musste. Der Käfer war kein Wagen, der sich gerne beim Parken beobachten ließ. Der Käfer wollte bewegt werden. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich mal nicht hinterm Steuer saß, das war für den Wagen verschwendete Lebenszeit. Ich nahm extra eine Arbeit in einer weit entfernten Stadt an, damit der Käfer Auslauf hatte, und besuchte Ausstellungen in fremden Bundesländern.
    Dann lernte ich eine Frau kennen, die einen weißen Kadett Kombi fuhr. Wir beschlossen, fortan alles zu teilen, verkauften unsere Wagen und
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