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Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Titel: Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Autoren: FUEGO
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bestellten einen blauen Golf, den wir direkt am Werk in Wolfsburg in Empfang nahmen. Kurz darauf wurde sie schwanger. Falls es da einen Zusammenhang gibt, weiß ich nicht, ob es dabei am wichtigsten ist, dass der Wagen eine blaue Farbe hat, dass man ihn sich direkt in Wolfsburg abholt oder dass man vorher einen Kadett Kombi gehabt haben muss. Heutzutage kauft man sich nach Entwicklung des ersten Ultraschallbildes sofort einen sieben- bis zwölfsitzigen Kleinbus und klebt ein Schild »Ungeborenes Baby an Bord« hintendrauf, aber damals, 1987, fuhren wir Golf. Es kam dann noch ein Kind und auch das passte in den Golf, und auf den Golf passten noch vier Fahrräder. Es war ein zuverlässiges, unauffälliges Auto, aber es hatte mich in der Gewalt. Ich konnte nicht mehr entscheiden, wann ich wohin fahren wollte. Es musste ständig etwas damit geholt oder geliefert werden. Windeln, Keuchhustenmedizin, Nasentropfen, Kind von der Krabbelstube, Kind zum Waldorfkindergarten, zur Waldorfschule, zum Flötenunterricht, zum Gitarrenunterricht, zum Chor, zum Taek-Won-Do, zum Bahnhof, zur Oma, Kindergeburtstagsgäste nach Hause, Möbelbausätze vom Möbelmarkt und wieder zurück zur Reklamation, Mineralwasserkästen und Biomöhren. Wenn ich mich an den Golf erinnere, sehe ich nur, wie ich irgendetwas in seine gierige Heckklappe stopfe oder wieder herauszerre. Eines Tages ließ sich die Fahrertür nicht mehr von innen öffnen. Der Wagen wollte mich nicht weglassen, ich sollte in ihm übernachten, bis er mich zur nächsten Lieferadresse transportieren konnte. Ich wartete das Ende des Jahrtausends ab und kaufte dann ein geckogrünes Auto aus französischer Herstellung. Inzwischen macht es keinen guten Eindruck mehr, ich habe sogar das Gefühl, der Wagen mag mich nicht, jedenfalls treibt er sich, so oft es geht, in irgendwelchen Reparaturwerkstätten herum. Mein Sohn hat letztes Jahr auf seiner ersten Fahrt als Führerscheinbesitzer die Beifahrertür eingedrückt, und auch sonst ist der Wagen reichlich heruntergekommen. Man kann das Fenster der Beifahrertür nicht mehr runterlassen. Wenn man jemand nach dem Weg fragen will, muss man aussteigen, und das macht auf viele einen bedrohlichen Eindruck.
    Vor kurzem erzählte mir ein Freund, dass man beim Anblick mancher Autos sagt, hier habe jemand seinen Penis vor der Tür geparkt. Ich weiß nicht, ob diese Feststellung pauschal für jedes Auto gilt, aber es ist durchaus möglich, dass die Nachbarn von dem verbeulten Zustand des Wagens Rückschlüsse auf mein Geschlechtsorgan ziehen, die natürlich jeder Grundlage entbehren. Trotzdem ist ein verbeulter Wagen, rein sexuell betrachtet, immer noch besser als ein tiefergelegter mit abgesägtem Auspuff oder mit Hängerkupplung.
    Nach über dreißig Jahren Erfahrung als Fahrerlaubnis- und Wagenbesitzer komme ich langsam zu der Erkenntnis, dass man einem Auto nur sehr selten seinen Willen aufzwingen kann. Jedenfalls mir gelingt das nicht. Mir fehlt wohl die Fähigkeit zur Autosuggestion. Und wenn man selber am Steuer sitzt, kann man dem Wagen außerdem nicht beim Fahren zuschauen. Das ist ein entscheidender Nachteil. Vielleicht kaufe ich mir als nächstes wieder einen Triebwagen. Oder ein Auto, das sich von außen mit den Fingern dirigieren lässt. Ich kann jetzt auch viel tiefer brummen und beim Schalten würde ich besonders eindrucksvoll aufheulen.
    Auf dem Friedhof
    Nach langer Zeit mal wieder die Abkürzung über den Friedhof genommen und dabei etwas Merkwürdiges entdeckt. Überall auf dem Gelände stehen Gestelle, an denen ca. siebzig Gießkannen hängen, und jede Gießkanne ist mit einem eigenen Schloss gesichert. Was steckt hinter diesem Sicherheitswahn? Als ich das meinem Schwiegervater erzählte, sagte er den rätselhaften Satz: »Kein Wunder, es wird nirgendwo soviel geklaut wie auf dem Friedhof.« Ich habe lange darüber nachgedacht und kann mir das nur so erklären: Nachts kommen die Toten aus ihren Gräbern und holen sich die Gießkannen. Deshalb werden die alle angekettet. Wenn das so ist, dann werde ich in meinem Testament verfügen, dass ich mit mindestens einer Gießkanne bestattet werden möchte. Besser gleich mit drei. Gießkannen scheint man ja da unten am nötigsten zu brauchen. Gehörte wahrscheinlich auch zur Standardgrabbeigabe der ägyptischen Pharaonen. Dabei heißt es immer, man könne sowieso nichts mitnehmen und das letzte Hemd habe keine Taschen. Wäre aber besser, wenn es welche hätte, um eine Gießkanne mit in die
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