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Aurora

Aurora

Titel: Aurora
Autoren: Robert Harris
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Vergangenheit zu suhlen, sich uns überlegen zu fühlen, uns zu sagen, daß wir uns schuldig fühlen müßten, und dabei war er die ganze Zeit nur zu einem einzigen Zweck dort: die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken!
    »Und Papu Rapawa«, fragte Kelso, »was hatte er von diesem Plan gehalten?«
    Zum ersten Mal verdunkelte sich Mamantows Gesicht.
    Rapawa hatte behauptet, daß der Plan ihm gefalle. Das jedenfalls hatte er gesagt. Den Kapitalisten in die Suppe spucken und dann zusehen, wie sie sie trinken? O ja, bitte, Genosse Oberst. Der Gedanke hatte Rapawa sehr gut gefallen. Es wurde abgemacht, daß er Kelso über Nacht seine Geschichte erzählen und ihn dann direkt zu Berijas früherem Haus führen sollte, wo sie den Werkzeugkasten zusammen ausgraben würden. Mamantow hatte O’Brian einen Tip gegeben, woraufhin dieser versprach, am nächsten Morgen mit seinen Kameras beim Institut für Marxismus-Leninismus aufzukreuzen. Das Symposium sollte die ideale Startrampe liefern. Was für eine Story! Alle Welt würde sich vor Aufregung überschlagen. Mamantow hatte alles bis ins letzte Detail geplant.
    Aber dann: nichts. Kelso hatte am nächsten Nachmittag angerufen, und da hatte Mamantow erfahren, daß Rapawa seine Mission nicht erfüllt hatte, daß er zwar seine Geschichte erzählt hatte, dann aber verschwunden war.
    »Warum hat er das getan?« Mamantow runzelte die Stirn.
    »Haben Sie von Geld gesprochen?«
    Kelso nickte. »Ich habe ihm einen Anteil am Gewinn angeboten.«
    Ein verächtlicher Ausdruck erschien auf Mamantows Gesicht.
    »Daß Sie versuchen würden, sich zu bereichern – damit hatte ich gerechnet; das war ein weiterer der Gründe dafür, daß ich Sie ausgewählt habe. Aber er?« Er schüttelte angewidert den Kopf.
    »Menschen«, murmelte er. »Sie lassen einen immer im Stich.«
    »Vielleicht hat er Ihnen gegenüber dasselbe empfunden«, sagte Kelso. »Wenn man bedenkt, was Sie ihm angetan haben.«
    Mamantow sah Viktor an, und in diesem Moment vollzog sich etwas zwischen dem älteren und dem jüngeren Mann ein Blickwechsel von fast sexueller Intimität-, und Kelso wußte sofort, daß die beiden Papu Rapawa gemeinsam bearbeitet hatten. Es müßten noch andere dabeigewesen sein, aber diese beiden hatten die Hauptarbeit geleistet: der Meister und sein Lehrling.
    Kelso merkte, daß er wieder zu schwitzen begann.
    »Aber er hat Ihnen nicht verraten, wo er es versteckt hatte«, sagte er.
    Mamantow hob die Brauen, als wollte er sich an etwas erinnern. »Nein«, sagte er leise. »Nein. Er stammte aus einer starken Familie. Das muß ich ihm zugestehen. Nicht, daß es etwas ausgemacht hätte. Wir sind Ihnen und der Frau am nächsten Vormittag gefolgt, haben gesehen, wie Sie das Material fanden. Letzten Endes hat Rapawas Tod nichts geändert. Jetzt habe ich alles.«
    Schweigen.
    Der Zug hatte fast auf Schrittempo verlangsamt. Jenseits der flachen Dächer konnte Kelso den Fernsehturm sehen.
    »Die Zeit drängt«, sagte Mamantow plötzlich, »und die Welt wartet.«
    Er griff nach der Mappe und seinem Hut und stand auf. »Ich habe über Sie nachgedacht«, sagte er zu Kelso, während er sich den Mantel zuknöpfte. »Aber ich glaube nicht, daß Sie uns wirklich schaden können. Sie könnten natürlich Ihre Echtheitsbescheinigung der Papiere widerrufen, aber das würde jetzt nichts mehr ausmachen, abgesehen davon, daß Sie dann wie ein Idiot dastehen – sie sind echt; das wird von unabhängigen Experten in ein oder zwei Tagen bestätigt werden. Zwar könnten Sie gewisse wilde Anschuldigungen hinsichtlich des Todes von Papu Rapawa erheben, aber dafür gibt es keinerlei Beweise.« Er bückte sich, betrachtete sich in dem kleinen Spiegel über Kelsos Kopf, rückte, um für die Kameras bereit zu sein, seine Hutkrempe zurecht. »Nein. Ich glaube, am besten lasse ich Sie einfach hier sitzen, damit Sie verfolgen können, was gleich passiert.«
    »Nichts wird passieren«, sagte Kelso. »Vergessen Sie nicht – ich habe mit dieser Kreatur gesprochen. In dem Moment, in dem er den Mund aufmacht, werden die Leute lachen.«
    »Wollen Sie wetten?« Mamantow streckte ihm die Hand entgegen. »Nein? Sehr vernünftig. Lenin hat gesagt: ›Das Wichtigste bei jedem Bestreben ist, in den Kampf zu ziehen und auf diese Weise zu lernen, was als nächstes getan werden muß.‹ Und genau das werden wir jetzt tun. Zum ersten Mal seit fast zehn Jahren sind wir in der Lage, in den Kampf zu ziehen. Und was für einen Kampf. Viktor.«
    Zögernd
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