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Aurora

Aurora

Titel: Aurora
Autoren: Robert Harris
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bezichtigt. Und weshalb?« Er stieß einen Finger in Kelsos Richtung. »Weil die Medien von kosmopolitischen Kräften regiert werden, die Wladimir Mamantow verabscheuen und alles, wofür er steht. Oh, aber wenn Dr. Kelso, der Liebling der Kosmopoliten – ah, ja, wenn Kelso der Welt verkündet: ›Seht, ich gebe euch Stalins Sohn‹, dann sieht die Sache ganz anders aus.«
    Also war der Sohn aufgefordert worden, noch ein paar Wochen länger zu warten, bis andere Fremde auftauchen und das Tagebuch mitbringen würden.
    (Das erklärt vieles, dachte Kelso: das merkwürdige Gefühl, das er in Archangelsk gehabt hatte, wo es so aussah, als wäre er von den Leuten dort erwartet worden – dem kommunistischen Funktionär, Wawara Safanowa, dem Mann selbst. »Ihr seid es also, ihr seid es also wirklich?… Ich bin der, den ihr sucht…«)
    »Und warum ich?« sagte Kelso.
    »Weil ich mich an Sie erinnert habe. Mich erinnerte, wie Sie mich beschwatzt haben, um mich besuchen zu dürfen, nachdem ich nach dem Putsch gerade aus Lefertowo entlassen worden war – Ihre verdammte Arroganz, Ihre Einbildung, daß Sie und Ihresgleichen gewonnen hätten und ich erledigt wäre. Den Mist, den Sie über mich geschrieben haben. Was hat Stalin gesagt?
    ›Sich seine Opfer aussuchen, seine Pläne bis ins letzte Detail ausarbeiten, einen unersättlichen Rachedurst stillen und dann schlafen gehen… etwas Schöneres gibt es auf der ganzen Welt nicht.‹ Und da hat er recht. Etwas Schöneres gibt es auf der ganzen Welt nicht.«
    Sinaida Rapawa erreichte den Jaroslawler Bahnhof kurz nach vier Uhr. (Was genau sie in den drei Stunden seit Verlassen des Robotnik getan hatte, konnte nie geklärt werden; allerdings gab es unbestätigte Berichte, denen zufolge eine Frau, auf die ihre Beschreibung zutraf, auf dem Trojekurowo-Friedhof gesehen worden war, wo ihre Mutter und ihr Bruder begraben waren.)
    Jedenfalls sprach sie um fünf Minuten nach vier einen Angestellten der Russischen Eisenbahn an. Hinterher konnte dieser nicht sagen, weshalb sie ihm im Gedächtnis geblieben sei, wo an diesem Tag doch so viele Leute herumwimmelten; vielleicht sei es die dunkle Brille gewesen, die sie getragen habe, ungeachtet der ständigen Düsternis, die unter der Bogenüberdachung des Bahnhofs herrschte. Wie alle anderen Leute wollte sie wissen, auf welchem Bahnsteig der Zug aus Archangelsk einfahren würde.
    Die Massen drängten sich bereits zusammen, und Aurora-Ordner taten ihr Bestes, um sie unter Kontrolle zu halten. Ein Durchgang war mit Seilen abgesperrt worden. Für die Kameras war eine Bühne errichtet worden. Fahnen wurden verteilt – der Zarenadler, Hammer und Sichel, das Aurora-Emblem. Sinaida nahm eine kleine rote Fahne, und vielleicht war das der Grund, vielleicht war es auch ihre Lederjacke, die ihr das Aussehen einer Aurora-Aktivistin gab, aber was immer es sein mochte, es sicherte ihr eine hervorragende Position, direkt an den Seilen, und niemand machte sie ihr streitig.
    Auf einigen der Videobänder von der Menge, die vor Ankunft des Zuges aufgenommen worden waren, konnte man sie ab und an entdecken – gelassen, abgesondert, wartend.
    Der Zug rollte langsam durch die Vorortbahnhöfe. Leute, die ihre Samstagnachmittags-Einkäufe machten, drängten sich dort schaulustig, um herauszufinden, was die ganze Aufregung zu bedeuten hatte. Ein Mann hob ein Kind hoch, damit es winken konnte, aber der im Zug sitzende Mamantow war zu sehr mit Reden beschäftigt, um so was zu bemerken.
    Er beschrieb gerade, wie er Kelso nach Rußland gelockt hatte – und das, sagte er, war der Punkt, auf den er am stolzesten war; das war ein Schachzug, der von Josef Wissarionowitsch selbst hätte stammen können.
    Er hatte dafür gesorgt, daß eine Strohfirma, die er in der Schweiz besaß – ein angesehenes Familienunternehmen, es hatte die Arbeiter seit Jahrhunderten ausgebeutet –, sich mit Rosarchiv in Verbindung setzte und anbot, ein Symposium über die Öffnung der sowjetischen Archive zu sponsern.
    Mamantow schlug sich vor Vergnügen auf die Knie.
    Anfangs hatten die von Rosarchiv Kelso nicht einladen wollen – man stelle sich das vor! Sie meinten, er verfüge nicht mehr über ausreichendes Ansehen in akademischen Kreisen –, aber Mamantow hatte, über die Sponsoren, darauf bestanden, und zwei Monate später war er da, wieder in der Stadt, in einem kostenlosen Hotelzimmer, alle Nebenausgaben bezahlt, wie ein Schwein auf dem Misthaufen, gekommen, um sich in unserer
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