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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters
Autoren: Charles Bukowski
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einen Schock bei ihm aus. Man hörte nur noch das Sausen des Riemens und das klatschende Geräusch, wenn er auf meinem nackten Hintern landete — ein merkwürdig fleischiges und widerwärtiges Ge räusch in der Stille des trostlosen Badezimmers. Die Tränen liefen mir übers Gesicht, aber ich gab keinen Laut von mir. Ich lag einfach da und starrte auf die Fliesen. Gewöhnlich verabreichte mir der Alte 15 bis 20 Hiebe; diesmal stoppte er nach sieben oder acht. Er starrte mich entgeistert an, dann rannte er hinaus und schrie: »He, Mama, ich glaub, unser Junge is VERRÜCKT geworden, er schreit überhaupt nicht mehr, wenn ich ihn verdresche!«
»Glaubst du, er ist verrückt geworden, Henry?«
»Ja!«
»Ach! Zu dumm!«
Das war das erste erkennbare Anzeichen des FM -Syndroms. Das Verhalten der Eltern suggerierte, daß etwas mit mir nicht stimmte, aber ich hielt mich nicht für übergeschnappt. Ich hatte lediglich kein Verständnis dafür, wie man sich über völlig belanglose Dinge derart aufregen konnte, im nächsten Augenblick ein blödsinniges Lied vor sich hinträllern konnte, und im nächsten Augenblick zum Riemen greifen konnte; wie man sich überhaupt für IRGEND ETWAS interessieren konnte, wo doch alles im Grunde völlig uninteressant war. Im Sport oder beim Spielen mit den Nachbarkindern war ich nicht besonders gut. Ich hatte keine Angst vor handgreiflichen Auseinandersetzungen, aber ich hatte auch keinen besonderen Ehrgeiz. Es bedeutete mir einfach nichts. Wenn ich mich mit einem raufte, empfand ich keine Wut und fühlte nicht das Bedürfnis, ihn zu besiegen. Ich kämpfte nur, weil es sich gerade so ergab und weil es unvermeidlich schien. Die Wut und den Haß in meinem Gegner konnte ich nicht verstehen. Oft vergaß ich ganz einfach, mich zu wehren, so sehr war ich damit beschäftigt, seinen Gesichtsausdruck und seine Bewegungen zu beobachten; und das Ganze gab mir nichts als Rätsel auf. Hin und wieder raffte ich mich auf und versetzte ihm ein paar solide Haken, nur um zu sehen, ob ich es auch konnte, wenn ich wollte; dann verfiel ich wieder in meine Lethargie. Irgendwann kam dann unweigerlich mein Alter herausgestürzt und brüllte: »Schluß jetzt! Schluß mit der Rauferei! Aus! Schluß!«
Die Jungs hatten alle Schiß vor meinem Alten und liefen weg.
Und dann sah er mich geringschätzig an. »Du hast keinen Mumm in den Knochen, Henry. Du bist halt einfach kein Mann! Du hast dich schon wieder verdreschen lassen!« Ich reagierte nicht.
»He, Mama, unser Junge hat sich schon wieder von diesem Chuck Sloan verdreschen lassen!«
»Unser Junge?«
»Ja, unser Junge!«
»Was für eine SCHANDE !«
Schließlich, glaube ich, hat mein Alter dann doch den Frozen Man in mir erkannt. Aber auch das kümmerte mich nicht. Ich hatte ihm nic hts zu sagen. Es interessierte mich nicht. Mit 17 fing ich an zu saufen. Ich trieb mich mit einer Bande älterer Jungs herum, und wir raubten Tankstellen und Spirituosenhandlungen aus. Sie hielten meine Interesselosigkeit für ein Zeichen von Mut und Kaltblütigkeit. Ich war beliebt bei ihnen, aber es berührte mich nicht. Ich war GEFROREN . Sie schütteten Wein und Bier und Whisky in mich rein, aber sie schafften mich nicht. Wenigstens wurde ich nie so voll, daß ich vom Stuhl kippte. Die anderen fingen an zu grölen, die Inneneinrichtung zu demolieren und sich gegenseitig die Nasenbeine zu brechen — ich saß starr und steif an meinem Tisch, kippte noch ein Glas runter, fühlte, wie ich mich innerlich immer weiter von ihnen entfernte.
Ich wohnte immer noch bei meinen Eltern, es war jetzt die Zeit der Wirtschaftskrise, 1937, und man bekam nirgends mehr einen Job. Aus reiner Gewohnheit kam ich nach jeder Schlägerei oder Sauferei und nach jedem Raubüberfall wieder nach Hause und klopfte an die Tür.
In einer Nacht machte meine Mutter das kleine Guckfenster in der Tür auf und schrie: »Er ist besoffen! Er hat schon wie der gesoffen!« Und von drinnen hörte ich die laute Stimme meines Alten: »Was? Schon WIEDER besoffen?!«
Er kam an die Tür. »Du kommst mir hier nicht rein! Du bist eine Schande für deine Familie und für dein Land!« »Es ist scheißkalt hier draußen«, sagte ich ruhig. »Entweder du machst die Tür auf oder ich renn sie dir ein. Ich binden ganzen Weg bis hierher gekommen, und jetzt will ich auch rein.« »Nein, mein Lieber, du verdienst es nicht, daß man dich rein läßt. Dies ist ein anständiges Haus. Du bist eine Schande für deine Familie und für . . .«
Ich ging
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