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Aufzeichnungen eines Außenseiters

Aufzeichnungen eines Außenseiters

Titel: Aufzeichnungen eines Außenseiters
Autoren: Charles Bukowski
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herunter und nahmen ihn in den Arm. Mir wurde schlecht. Ich ging weg.
Vor einem Drugstore machte ich mechanisch die Medaille ab und ließ sie in einen Gully fallen. Jimmy wurde ein paar Jahre später über dem Kanal abgeschossen. Sein Bomber erhielt einen Volltreffer; er befahl seinen Leuten, auszusteigen, und versuchte, das ramponierte Ding noch zum Stützpunkt zurückzubringen. Er schaffte es nicht. Etwa um diese Zeit lebte ich, u. k.-gestellt, in Philadelphia und fickte eine 3-Zentner-Hure, wobei sämtliche vier Beine an meinem Bett zu Bruch gingen.
Das alles soll nicht den Eindruck erwecken, als ob mich überhaupt nichts berührte, als ob ich keinerlei Mitgefühl hätte und zu keinerlei Emotionen fähig sei. Ich will damit nur sagen, daß meine Gefühle, meine Gedanken und Verhaltensweisen offensichtlich einem Schema gehorchen, das es mir unmöglich macht, mit den anderen WARM zu werden. Mein Freund in London beschreibt seine Erfahrungen als Frozen Man so: ». . . ich stecke in diesem Goldfischglas, verstehst du, in diesem riesigen Aquarium, und meine Flossen sind anscheinend zu schwach, um mich in dieser großen Unterwasser-city bewegen zu können ... Ich tu, was ich kann, aber der magische Funke springt nicht mehr über. Es scheint, ich komme einfach nicht mehr aus diesem Cold Turkey*-Zustand heraus, alles ist erzwungen und gequält — das Schreiben, das Ficken, das Essen und Trinken, ich werd nicht mal mehr high ... es ist nicht nur Sand im Getriebe, der ganze Mechanismus ist im Eimer. Ich richte mich auf ein langes Überwintern ein, es wird eine lange, dunkle Polarnacht. Mehr als das: ich bin an die Sonne gewöhnt, an die Wärme und die grellen Farben des Mittelmeers; ich bin daran gewöhnt, mit dem Arsch auf einem Vu lkan zu sitzen, wie in Griechenland — dort gab es wenigstens Licht, dort gab es noch ein paar Menschen, dort gab es sogar so etwas wie Liebe. Und jetzt: nichts mehr von alledem. Abgespannte, frühzeitig gealterte Gesichter. Gesichter, die einen im Vorübergehen krampfhaft anlächeln und »Hello« sagen. Ein ständiges tristes Halbdunkel, grauer Nebel, Kälte. Ein alternder, ausrangierter Poet, der in seiner'eigenen Scheiße verkommt.
Ich bin von Arzt zu Arzt gelaufen, von einer Klinik zur anderen mit Urinproben und Schitproben, und immer das gleiche Lied — kaputte Leber, kaputter Magen, und keiner kann was dagegen tun. Ich wüßte was: alles liegen und stehen lassen und mir eine sagenhafte junge Schönheit auftun, die mir den
    * Zwangsweise >kalte< Entziehungskur (cl. h. ohne medizinische Hilfe).
    Arsch in Schuß hält, wenig Ansprüche stellt und sich im übrigen still verhält. Aber wo findet man so etwas? und wie? Außerdem, was könnte ich ihr schon bieten? Aber Shit, es ist durchaus möglich, daß ich mit sowas wieder die Kurve kriegen könnte . . .
Ich wünschte, ich wäre hartgesotten genug, um nochmal von vorn anzufangen und das Ganze stärker, härter und klarer als zuvor zu Papier zu bringen. Aber ich habe nicht mehr das gewisse Etwas, ich bin auf der Rolle, und ich verwende meine ganze Energie darauf, Zeit zu schinden.
16.40 Uhr. Der Himmel ist dunkelgrau und stellenweise rot angelaufen. Rush hour. Verkehrsstockungen. Drüben im Zoo hecheln die Steppenwölfe in ihren engen Käfigen. Der Mandrill knurrt gereizt, zieht sich die faulen Bananen und Äpfel aus dem Arsch und bombardiert damit die Zuschauer. Bevor ich abkratze, möchte ich nochmal nach Kalifornien, an die Küste südlich von Los Angeles, nahe an der mexikanischen Grenze. Aber das ist ein Traum. Und all die Briefe, die ich aus den Staaten bekomme, sind von Dichtern oder Künstlern, die mal hier waren, auf dieser Seite des Atlantik, und alle reden davon, wie beschissen es zu Hause zugehe, wie lausig die ganze Szene sei usw.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber im Moment ist es sowieso nicht drin, denn meine ganzen Geldgeber sitzen hier drüben, wollen mich in der Nähe haben und würden mich wahrscheinlich in den Wind schießen, wenn ich weggehe.
Ich weiß, daß es bei Dir noch beschissener aussieht, aber versuch, irgendwie am Ball zu bleiben. Und entschuldige diesen tödlich langweiligen Brief; ich kann nicht recht in Stimmung kommen mit all diesen Arztrechnungen und Mahnungen und all der Scheiße auf dem Tisch, dem rußigen Himmel und der vergrätzten Sonne draußen, und es sieht nicht so aus, als ob sich daran bald was ändern wird. Naja, du weißt ja, wie das ist. Stehen wirs eben durch. Cheers, alter
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