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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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es unwahrscheinlich sein? Erstens konnte ich schon gar nicht mehr lieben, denn, ich wiederhole, Liebe bedeutet für mich Tyrannei und moralische Überlegenheit. Mein ganzes Leben lang habe ich mir keine andere Liebe vorstellen können und bin so weit gekommen, daß ich jetzt zuweilen denke, die Liebe bestehe gerade in einem von dem geliebten Wesen freiwillig zugestandenen Recht, es zu beherrschen. Auch in meinen Kellerlochträumen habe ich mir die Liebe nie anders als einen Kampf vorgestellt, habe sie stets mit Haß begonnen und mit moralischer Unterwerfung gekrönt; dann aber war es mir unmöglich, mir auch nur im entferntesten vorzustellen, was man mit dem besiegten Wesen noch hätte anfangen können. Und was kann denn da unwahrscheinlich sein, wenn es mir schon gelungen war, mich so weit mit mir zu entzweien, mich so weit des ›lebendigen Lebens‹ zu entwöhnen, daß ich sie mit dem Vorwurf beschämen wollte, sie sei gekommen, um von ›Gefühlen‹ zu hören; ich selbst kam nicht auf den Gedanken, daß sie überhaupt nicht der Gefühle wegen gekommen war, sondern um mich zu lieben, denn für die Frau liegt die ganze Auferstehung in der Liebe, die ganze Rettung, einerlei von welchem Verderben, und die ganze Wiedergeburt, die sich ja auch in nichts anderem offenbaren kann als gerade in ihr. Übrigens haßte ich sie gar nicht so sehr, als ich im Zimmer auf und ab lief und durch die Spalte des Wandschirms spähte. Es war mir nur unerträglich, daß sie hier war. Ich wollte sie fort haben. Ich wünschte ›Ruhe‹, ich wünschte das Alleinsein im Kellerloch. Das ungewohnte ›lebendige Leben‹ erdrückte mich dermaßen, daß mir sogar das Atmen schwerfiel.
    Aber es vergingen noch etliche Minuten, sie erhob sich immer noch nicht, als hätte sie alles um sich vergessen. Ich besaß die Gewissenlosigkeit, leicht an den Wandschirm zu klopfen, um sie zu erinnern … Sie fuhr erschrocken zusammen, sprang hastig auf und suchte eilig ihr Tuch, ihr Hütchen, ihren Pelz zusammen, als wollte sie vor mir fliehen … Nach zwei Minuten trat sie langsam hinter dem Schirm hervor und sah mich mit einem schweren Blick an. Ich grinste boshaft, übrigens absichtlich, anstandshalber , und wich ihrem Blick aus.
    »Leben Sie wohl«, sagte sie und ging zur Tür.
    Da lief ich auf sie zu, nahm ihre Hand, öffnete sie, drückte etwas hinein … und schloß dann die Finger wieder. Darauf wandte ich mich sofort um und floh in die andere Ecke des Zimmers, um wenigstens nichts zu sehen …
    Soeben, in dieser Minute, wollte ich lügen – ich wollte schreiben, daß ich dies aus Versehen, halb bewußtlos, in Verwirrung, aus Kopflosigkeit getan hätte; ich will aber nicht lügen, und darum sage ich jetzt offen, daß ich ihre Hand geöffnet und etwas hineingesteckt habe … aus Bosheit. Ich kam darauf, als ich im Zimmer auf und ab lief und sie hinter dem Wandschirm saß. Eines jedoch kann ich mit Bestimmtheit sagen: ich beging diese Grausamkeit, wenn auch absichtlich, doch nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Kopf. Diese Grausamkeit war dermaßen gekünstelt, dermaßen ausgeklügelt, willkürlich ausgedacht, literarisch , daß ich selbst es nicht einen Augenblick aushalten konnte – zuerst sprang ich in die Ecke, um nichts zu sehen, dann aber, voll Scham und Verzweiflung, stürzte ich Lisa nach. Ich öffnete die Tür in den Flur und lauschte.
    »Lisa, Lisa!« rief ich durchs Treppenhaus, aber zaghaft, halblaut.
    Es kam keine Antwort, ich glaubte, daß ich ihre Schritte unten auf der Treppe hörte.
    »Lisa!« rief ich lauter.
    Keine Antwort.
    Aber im gleichen Augenblick hörte ich von unten, daß die schwere verglaste Haustür sich quietschend öffnete und mit dumpfem Krach zuschlug. Das Treppenhaus dröhnte.
    Sie war fort. Nachdenklich kehrte ich in mein Zimmer zurück. Furchtbar schwer war mir zumute.
    Ich blieb am Tisch stehen, neben dem Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, und starrte gedankenverloren vor mich hin. Es war ungefähr eine Minute vergangen, als ich plötzlich zusammenfuhr: gerade vor mir auf dem Tisch sah ich … kurz, ich sah einen zerknitterten blauen Fünfrubelschein, denselben, den ich ihr vor einer Minute in die Hand gedrückt hatte. Es war derselbe Schein, ein anderer hätte es gar nicht sein können, es gab keinen anderen in der ganzen Wohnung. Also hatte sie noch Zeit gefunden, ihn auf den Tisch zu werfen, in dem Augenblick, als ich in die Ecke sprang.
    Und nun? Ich hätte ja erwarten können, daß sie es tun würde.
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