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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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gedacht?«
    Ich wußte, daß sie vielleicht nicht alles erfassen und die Einzelheiten nicht verstehen würde, gleichzeitig wußte ich, daß sie das Wesentliche vorzüglich verstehen würde. So kam es auch. Sie wurde kreideweiß, wollte etwas sagen, ihre Lippen verzogen sich schmerzlich; plötzlich sank sie wie von einem Schlag getroffen auf den Stuhl zurück. Und die ganze Zeit darauf hörte sie mir mit offenem Mund zu, mit weit aufgerissenen Augen, zitternd vor Angst. Der Zynismus, der Zynismus meiner Worte erdrückte sie …
    »Retten!« fuhr ich fort, indem ich aufsprang und vor ihr im Zimmer auf und ab rannte. »Wovor denn retten? Ich bin ja selbst vielleicht schlimmer als du. Warum bist du mir denn nicht übers Maul gefahren, als ich dir die Leviten las: ›Wozu bist du denn zu uns gekommen, etwa um uns Moral zu predigen?‹ – Nach Macht gelüstete es mich damals, nach Macht, nach Spiel, deine Tränen wollte ich, deine Erniedrigung, die Hysterie – das brauchte ich damals! Ich bin ja damals selbst weich geworden, denn ich bin ein Schlappschwanz. Ich bekam Angst und gab dir aus Dummheit, weiß der Teufel wozu, meine Adresse. Später aber, noch unterwegs, bedachte ich dich wegen dieser Adresse mit allen Flüchen der Welt. Schon damals begann ich dich zu hassen, denn ich hatte dich belogen. Ich will nämlich nur in Worten spielen, nur im Kopf träumen, in Wirklichkeit aber brauche ich, weißt du was: daß euch der Teufel holt, das brauche ich! Ich will meine Ruhe haben. Ich würde ja dafür, daß man mich nicht belästigt, die ganze Welt sofort für eine Kopeke verkaufen. Soll die Welt untergehen, oder soll ich jetzt keinen Tee trinken? Ich sage, die Welt mag untergehen, ich aber will immer meinen Tee trinken. Wußtest du das oder nicht? Nun, ich aber weiß, daß ich ein gemeiner Kerl bin, ein Schuft, ein Egoist, ein Faulpelz. Diese drei Tage habe ich vor Angst gezittert, du könntest kommen. Weißt du aber auch, was mich in diesen drei Tagen am meisten beunruhigt hat? Am meisten, daß ich mich damals vor dir wie ein Held aufgeführt habe, du mich aber hier in meinem schäbigen Schlafröckchen sehen würdest, bettelarm und ekelhaft. Ich sagte dir vorhin, daß ich mich meiner Armut nicht schäme; du sollst wissen, daß ich mich schäme, mich ihrer am meisten schäme, mich ihretwegen am meisten fürchte, mehr, als wenn ich ein Dieb wäre, denn ich bin so eitel, als hätte man mir die Haut abgezogen, und schon der bloße Luftzug verursacht mir Schmerz. Solltest du wirklich auch jetzt noch nicht auf den Gedanken kommen, daß ich dir niemals verzeihen werde, daß du mich in diesem Schlafröckchen angetroffen hast, als ich mich wie ein bösartiger Kläffer auf Apollon stürzte? Der Erlöser, der einstige Held, stürzt sich wie ein räudiger, zottiger Kläffer auf seinen Diener, und der lacht ihn aus! Und die Tränen vorhin, die ich vor dir wie ein beschämtes Weib nicht verbergen konnte, die werde ich dir niemals verzeihen! Und alles das, was ich dir jetzt gestehe, werde ich dir gleichfalls nie verzeihen! Ja – du, du allein mußt dafür büßen, weil du mir über den Weg gelaufen bist, weil ich ein Schuft bin, weil ich der gemeinste, der lächerlichste, der kleinlichste, der dümmste, der neidischste Wurm aller Erdenwürmer bin, die keineswegs besser sind als ich, die aber, weiß der Teufel, woher das kommt, niemals verlegen sind; ich aber werde mein ganzes Leben von jeder Laus einen Nasenstüber einstecken müssen, das ist nun einmal mein Los! Was geht es mich an, daß du das alles nicht begreifst! Und was, was, was gehst du mich an, und was geht es mich an, ob du dort zugrunde gehst oder nicht? Begreifst du denn auch, wie ich dich jetzt, nachdem ich das alles vor dir ausgesprochen habe, dafür hassen werde, daß du hier gewesen bist und zugehört hast? So spricht der Mensch nur ein einziges Mal im Leben, und auch das nur in einem hysterischen Anfall! Was willst du noch? Wozu hockst du denn noch immer vor mir, quälst mich, warum gehst du nicht?«
    Und da geschah plötzlich etwas Sonderbares.
    Ich war dermaßen gewöhnt, wie nach dem Buch zu denken und zu träumen und mir die ganze Welt so vorzustellen, wie ich sie mir in meiner Phantasie vorher zurechtgelegt hatte, daß ich damals dieses Sonderbare zunächst gar nicht begriff. Es geschah aber folgendes: Lisa, diese von mir gekränkte und verwundete Lisa, begriff weit mehr, als ich mir eingebildet hatte. Sie begriff trotz allem, was eine Frau, wenn sie nur
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