Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
an der Schulter. Ich fühlte, daß ich gleich zuschlagen würde.
    Ich hörte nicht, daß in diesem Augenblick die Flurtür sich leise und langsam öffnete, jemand eintrat, stehenblieb und uns verwundert betrachtete. Ich blickte auf, erstarrte vor Scham und stürzte in mein Zimmer. Dort packte ich mich mit beiden Händen an den Haaren, lehnte die Stirn an die Wand und erstarrte.
    Nach etwa zwei Minuten ließen sich Apollons langsame Schritte vernehmen.
    »Da fragt eine nach Ihnen«, sagte er, indem er mich besonders streng ansah, dann zur Seite trat und sie vorbeiließ – Lisa. Er hatte nicht vor zu gehen und betrachtete uns spöttisch.
    »Hinaus! Hinaus!« befahl ich verwirrt. In diesem Augenblick begann meine Uhr zu ächzen, zischte und schlug siebenmal.

IX
Und in mein Haus zieh stolz und frei,
Du, seine rechte Herrin, ein!
    Ich stand vor ihr, erschlagen, überführt, widerlich verlegen und lächelte, glaube ich, wobei ich mir die größte Mühe gab, die Schöße meines zottigen wattierten Schlafröckchens übereinanderzuschlagen – genauso, wie ich es mir noch kurz vorher in meiner Verzagtheit ausgemalt hatte. Apollon, nachdem er etwa zwei Minuten neben uns gestanden hatte, war nun fort, aber mir ging es nicht besser. Das schlimmste war, daß auch sie plötzlich verlegen wurde, und zwar so, wie ich es nie erwartet hätte. Bei meinem Anblick, versteht sich.
    »Setz dich«, sagte ich mechanisch und rückte für sie einen Stuhl an den Tisch, nahm aber selbst auf dem Sofa Platz. Sie setzte sich augenblicklich und gehorsam, blickte mich mit weit aufgerissenen Augen an, offensichtlich etwas Besonderes von mir erwartend. Eben diese naive Erwartung machte mich rasend, aber ich beherrschte mich.
    Gerade jetzt hätte man tun sollen, als gäbe es nichts Auffallendes, als sei alles so, wie es sein müsse, sie aber … Und ich ahnte dunkel, daß sie mir für all dies teuer würde zahlen müssen.
    »Du hast mich in einer sonderbaren Lage angetroffen, Lisa«, begann ich stotternd und mit dem Bewußtsein, daß man gerade so nicht hätte anfangen sollen.
    »Nein, nein, du sollst nicht irgend etwas denken!« rief ich aus, als ich bemerkte, daß sie plötzlich errötete. »Ich schäme mich nicht meiner Armut. Im Gegenteil, ich bin stolz auf meine Armut, ich bin arm, aber edel … Man kann arm und edel sein«, murmelte ich. »Übrigens … möchtest du Tee?«
    »Nein …«, begann sie und stockte.
    »Warte!«
    Ich sprang auf und lief zu Apollon. Ich mußte doch irgendwie in die Erde versinken.
    »Apollon«, flüsterte ich in fieberhafter Eile und warf die sieben Rubel, die ich die ganze Zeit in der Faust gehalten hatte, vor ihn auf den Tisch. »Hier ist dein Lohn, siehst du, du bekommst ihn; aber dafür mußt du mich retten: bring mir sofort aus dem nächsten Restaurant Tee und zehn Stück Gebäck. Wenn du dich weigerst, stürzt du einen Menschen ins Unglück! Du weißt nicht, was das für eine Frau ist … Sie ist – alles! Vielleicht denkst du irgend etwas … Aber du weißt nicht, was das für eine Frau ist! …«
    Apollon, der schon wieder bei seiner Näharbeit war und sich schon wieder die Brille aufgesetzt hatte, schielte zuerst, ohne die Nadel aus der Hand zu legen, schweigend nach dem Geld; dann aber fuhr er fort, ohne mir die geringste Aufmerksamkeit zu schenken und mich einer Antwort zu würdigen, sich mit seinem Faden zu beschäftigen, den er immer noch einfädelte. Ich wartete ungefähr drei Minuten, vor ihm stehend, mit verschränkten Armen à la Napoleon. Auf meinen Schläfen perlte Schweiß; ich war blaß, ich spürte es selbst. Aber Gott sei Dank, offensichtlich bekam er doch noch Mitleid mit mir. Nachdem er mit seinem Faden fertig war, erhob er sich langsam, schob langsam den Stuhl zurück, nahm langsam die Brille ab, zählte langsam das Geld nach, und nachdem er mich über die Schulter gefragt hatte, ob er eine ganze Portion holen solle, verließ er langsam das Zimmer. Während ich zu Lisa zurückging, kam mir unterwegs ein Gedanke: einfach, so wie ich dastehe, in dem schäbigen Schlafröckchen, Reißaus zu nehmen, und dann komme, was kommen mag.
    Ich setzte mich wieder hin. Sie sah mich voll Unruhe an. Einige Minuten schwiegen wir.
    »Ich bringe ihn um!« schrie ich plötzlich auf und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch, daß die Tinte aus dem Tintenfaß schwappte.
    »Ach, was haben Sie?« rief sie zusammenfahrend.
    »Ich bringe ihn um, ich bringe ihn um«, kreischte ich und fuhr fort, in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher