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Aufruf zur Revolte

Aufruf zur Revolte

Titel: Aufruf zur Revolte
Autoren: Konstantin Wecker , Prinz Chaos II.
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Wollen wir wirklich von 2.000 Grenztoten in einem einzigen Jahr nichts wissen, aber weiterhin voll Rührung der 139 Berliner Mauertoten zwischen 1961 und 1989 gedenken?
    Sicher. Auch hier verbieten sich Gleichsetzungen. Die einen wollten raus, die anderen dürfen nicht rein. Aber beide Male geht es doch um Tote an einer Grenze. Beide Vorgänge ins Verhältnis zu setzen, drängt sich förmlich auf, möchte man meinen.
    Dann diese Verhältnisse: 2.000 Tote in einem Jahr zu 139 Toten in 28 Jahren! Auch wer nichts davon hält, Tote gegeneinander aufzurechnen, wird wohl zugeben müssen, dass die auch zwei Jahrzehnte nach Ableben der DDR anhaltende Empörung über den einen Fall in einem gewissen Missverhältnis zum allgemeinen Achselzucken im anderen Falle steht, nein?
    Überhaupt die DDR. Wir beide mochten den Laden nicht. Nie. Wir mögen generell keine Mauern und keine militärisch gesicherten Grenzen. Wir sind von Haus aus Staatsskeptiker, und ein so penetrant aufdringliches Staatswesen wie die DDR konnte schon von daher unsere Sympathie niemals wecken. Gerade die neuesten Erkenntnisse, wie die Staats- und Parteiführung Teile der eigenen Bevölkerung für Experimente westlicher Pharmakonzerne regelrecht verhökert hat, zeigt den finalen moralischen Bankrott dieser angeblich sozialistischen Unternehmung namens DDR grell auf.
    Experimente dieser Art werden im heutigen Gesamtdeutschland mehr oder weniger freiwillig durchgeführt, wie man weiß. Man bezahlt sozial Schwache für diese Dienste, die ihren Körper aus finanzieller Not zur Verfügung stellen. Ist das, rein humanitär gesehen, ein Unterschied? Ein gesellschaftlicher Fortschritt gar? Oder ist das nur die zeitgemäße Anwendung jenes Bonmots von Anatole France, wonach allen Menschen gleichermaßen verboten ist, unter Brücken zu schlafen: dem Bettler wie dem Millionär?
    Zusammenhänge. Ist es nicht auch an der Zeit, zwischen der ewigen Stasi-Debatte und den Überwachungsskandalen neueren Datums einige herzustellen? Nicht mit dem Ziel, die Stasi zu verharmlosen, wovor die lächelnde Kanzlerin zu warnen die dreiste Albernheit besaß.
    Wer, bitteschön, wollte so dämlich sein, die Stasi verharmlosen zu wollen? Wir sicher nicht. Aber ist es nicht von erlesenster Dämlichkeit, vor allem jedoch von der ausgesuchtesten Verantwortungslosigkeit, mit diesem Stasi-Hinweis jenen Überwachungsstaat zu verharmlosen, der aktuell nicht 18 Millionen DDR-Bürger, sondern die Weltbevölkerung in toto zu überwachen strebt?
    Ja, die Verlogenheit des Diskurses in diesem Land ist atemberaubend!
    So erregte man sich bis weit ins rot-grüne Lager hinein über eine Gruppe verzweifelter Asylbewerber, die im Sommer 2013 mit einem mehrwöchigen Hungerstreik auf dem Münchner Rindermarkt ihre Lage zu bessern suchte. Das Hauptargument dabei lautete unverdrossen: der Staat, der Staat, der Staat – er dürfe sich auf keinen Fall erpressen lassen.
    Ach, wirklich? Lässt sich derselbe Staat nicht jeden Tag erpressen? Gibt er dem Druck von Großkonzernen und ihren lobbyistischen Heerscharen nicht täglich nach, sehr willig, geradezu devot? Diese Art der Erpressung sind wir gewohnt, und man erklärt sie zu Sachzwang, Standortpolitik oder wirtschaftlicher Vernunft. Wenn jedoch einige Flüchtlinge ihre Körper zur letzten Waffe machen, um im verzweifelten Hungerstreik für eine Besserung ihrer Lebensbedingungen zu kämpfen, fühlt sich der ganze große deutsche Staat sogleich erpresst?
    Aber natürlich eignet sich ein solches Protestdrama vorzüglich, die Schwächung der Solidarität in der Gesellschaft voranzutreiben. Und manch ein schwarz-rot-grün-großdeutscher Bürger wähnt sich aufgerufen, jener durch die hungernden Leiber einiger Flüchtlinge drohenden Staatskrise im Furor empörter Landesverteidigung zu wehren. Prost, Deutschland!
    Es ist höchste Zeit, unseren Sinn für Proportionen wieder zu aktivieren und einige Dinge in Zusammenhang zu setzen, die im öffentlichen Gespräch überraschenderweise als ganz und gar getrennt voneinander besprochen werden.
    Beispielsweise NSA und NSU. Macht nicht alles, was wir inzwischen über den Überwachungseifer der Geheimdienste wissen, ziemlich unwahrscheinlich, dass drei international per Steckbrief gesuchte Menschen über zehn Jahre hinweg mitten in Deutschland leben und morden konnten, unbehelligt, ohne je entdeckt zu werden?
    Wie kam es, dass die Verhaftung des Terror-Trios immer wieder unter dubiosesten Umständen scheiterte? Was stand in den
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