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Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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oder sie liebte Nechludoff noch immer, und vereinigte ihr Leben mit dem Simonsons, um ihn von dieser Last zu befreien.
    Darüber war sich Nechludoff vollständig im Klaren, Er schämte sich und fühlte, wie er rot wurde.
    »Wenn du ihn liebst ...« sagte er.
    »Ich? Nie habe ich derlei Menschen gekannt! – Wie sollte ich ihn nicht lieben? Und dann ist Wladimir Iwanowitsch auch so ganz anders, als die übrigen!«
    »Gewiß,« versetzte Nechludoff mit zitternder Stimme. »Er ist ein ausgezeichneter Mensch, und ich glaube ...«
    Doch sie unterbrach ihn von neuem, als fürchte sie, ihn das aussprechen zu hören, was er sagen wollte. Oder vielleicht wollte sie ihm alles sagen.
    »Nein, nein, Sie müssen uns verzeihen, daß wir nicht thun, was Sie wollen,« murmelte sie, »Denn Sie, Sie müssen leben!«
    Was er sich gesagt, was er sich bereits im Kinderzimmer beim Gouverneur gesagt, das wiederholte ihm jetzt Katuscha!
    Doch schon hatte er diesen Gedanken von sich gewiesen. Von alledem blieb nichts mehr in ihm zurück; er hatte wieder ganz andere Gedanken und ganz andere Gefühle. Er schämte sich, er hatte Furcht, und die Angst peinigte ihn.
    »So ist also alles zwischen uns aus?« fragte er.
    »Gewiß, gewiß!« versetzte sie mit seltsamem Lächeln.
    »Ich wäre doch aber glücklich, dir dienlich zu sein.«
    »Wir brauchen nichts!« (Sie sah Nechludoff fest ins Auge, als sie dieses »wir« aussprach,) »Ich schulde Ihnen so schon genug! ... Ohne Sie ...«
    Sie wollte noch etwas hinzufügen; doch plötzlich erstarb ihre Stimme; sie senkte den Kopf und sagte nichts weiter.«
    »Ich weiß nicht, wer von uns beiden dem andern am meisten schuldet, Gott wird zwischen uns abrechnen,« fuhr Nechludoff fort.
    »Ja, ja, so ist's! Gott sieht uns,« murmelte sie.
    » Are you ready ?« (Sind Sie bereit?) fragte der Engländer.
    »Sofort!« versetzte Nechludoff und fragte Katuscha, indem er sich bemühte, seine Angst zu verbergen, nach Krülzoffs Gesundheit.
    Auch Katuscha hatte sich gefaßt. Mit fast ruhigem Tone sagte sie, was sie wußte: daß Krülzoff auf der Fahrt viel hatte leiden müssen und gleich bei der Ankunft ins Lazareth gebracht worden war. Maria Pawlona hatte um die Erlaubnis gebeten, ihn pflegen zu dürfen, doch man hatte ihr erklärt, das wäre unmöglich.
    »Und jetzt will ich dorthin zurückkehren,« sagte sie, als sie sah, daß der Engländer ungeduldig wurde.
    »Sagen wir uns noch nicht Lebewohl; ich werde Sie wiedersehen,« sagte Nechludoff und reichte ihr die Hand.
    »Nein, nein, adieu, adieu!« antwortete ihm Katuscha in entschlossenem Tone.
    Nun begegneten sich ihre Augen, und in dem Blick ihrer etwas schielenden Augen, in ihrem traurigen Lächeln, in der Art, wie sie das Wort »Adieu« aussprach, sah Nechludoff klar und deutlich, daß von den beiden für ihr Verhalten maßgebenden Erklärungen die zweite die allein richtige war. Er erkannte, daß sie ihn liebte, daß sie ihn von ganzem holzen liebte, wie an dem Abend, da er sie, als sie aus der Kirche kam, umarmt. Er begriff, daß sie sich gesagt: wenn sie sich mit ihm verheirate, so erlege sie ihm ein Opfer auf und richte ihn zu Grunde; wenn sie sich dagegen mit Simonson verheiratete, so befreie sie ihn.
    Sie schüttelte die Hand, die er ihm reichte, wandte sich plötzlich um und verließ das Zimmer.
    Der Engländer wollte die Besichtigung der Säle sofort vornehmen, doch als er sah, daß Nechludoffs Hände vor Erregung zitterten, kam ihn ein Bedenken an und er schickte sich an, sich zunächst verschiedene Einzelheiten in seinem Notizbuch zu notieren, Nechludoff setzte sich in einiger Entfernung auf eine Holzbank. Verzweiflung und Scham erfüllte sein Herz, und hier blieb er einige Minuten wie betäubt sitzen.
    »Nun, meine Herren, wollen wir jetzt die Stuben besichtigen?« fragte der Direktor.
    Nechludoff sprang schnell empor, der Engländer klappte sein Notizbuch zu, und man machte sich auf den Weg.

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    Nachdem sie einen düstern und stinkenden Korridor durchschritten, traten Nechludoff und der Engländer unter Führung des Direktors in den ersten Saal der zur Zwangsarbeit Verurteilten. Hier erblickten sie ungefähr siebzig Gefangene, von denen die meisten sich schon zur Nachtruhe niedergelegt hatten. Man hatte alle Betten in der Mitte des Saales zusammengeschoben, so daß die Gefangenen nebeneinander lagen.
    Beim Eintritt der Besucher erhoben sich alle plötzlich, unter lautem Kettengerassel, und Nechludoff war von dem Leuchten
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