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Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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und bedauerte, daß ihm nicht auch ein so reines und ruhiges Glück beschieden war, wie das, das er vor sich sah.
    Nachdem er die Schönheit der beiden Kinder nach Möglichkeit gelobt, kehrte er mit der Mutter in den Salon zurück, wo der Engländer auf ihn wartete, um sich, wie es verabredet war, mit ihm nach dem Gefängnis zu begeben. Man sagte sich Lebewohl und tauschte Wünsche und Danksagungen aus; dann verließ Nechludoff in Begleitung des Engländers das gastfreundliche Haus des Gouverneurs.
    Das Wetter hatte sich geändert, ein dichter Schnee fiel hernieder und hatte bereits das Pflaster des Hofes, die Bäume des Gartens, die Stufen der Freitreppe, das Deck des Wagens und den Rücken der Pferde bedeckt. Nechludoff stieg mit seinen Gefährten in den Wagen und befahl dem Kutscher, nach dem Gefängnis zu fahren.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Der Schnee mochte einen noch so schönen, fröhlichen, weißen Schleier über alle Dinge breiten, er mochte das Dach, die Vortreppe, den Hof des Gefängnisses damit schmücken; dieses behielt mit seinen beiden roten Laternen, seiner Schildwache, trotzdem sein düsteres Aussehen.
    Der Direktor mit der imposanten Miene empfing die Besucher selbst am Eingang des Thores. Beim Scheine der Laterne las er aufmerksam den Paß, den der Gouverneur Nechludoff, als sie von der Tafel aufgestanden waren, übergeben hatte; dann beschränkte er sich darauf, zum Zeichen der Ergebung in die Laune seines Vorgesetzten die Achseln zu zucken und forderte die Besucher auf, ihm in sein Bureau zu folgen. Als sie hier angelangt waren, fragte er sie, was sie eigentlich sehen wollten.
    Nechludoff erklärte ihm, vor allem wünsche er eine Unterredung mit der Maslow, dann fügte er hinzu, sein Begleiter wünsche einige Fragen über das Gefängnissystem zu stellen, um die Säle dann mit größerem Nutzen besichtigen zu können.
    Der Direktor befahl einem Aufseher, die Maslow zu holen und sie in das Bureau zu führen.
    »Wieviel Personen kann das Gefängnis fassen?« fragte der Engländer, für den Nechludoff den Dolmetsch spielte, »Wieviel Personen enthält es augenblicklich? Wieviel Männer? wieviel Weiber? wieviel Kinder? Wieviel Sträflinge, wieviel Verschickte und wieviel freie Begleiter? und wieviel Kranke?«
    Nechludoff übersetzte die Fragen des Engländers und die Antworten des Direktors; doch er hätte kaum sagen können, was diese Fragen und Antworten für einen Wert hatten, denn die Aussicht auf seine Unterredung mit Katuscha hatte ihn ganz außer sich gebracht. Und als er mitten in einem Satze, den er übersetzte, ein Geräusch von Schritten auf dem Korridor vernahm, als sich die Thür öffnete und er – wie es schon so oft seit drei Monaten passiert war – diesmal aber zweifellos zum letztenmale – einen Aufseher eintreten sah, der die weißgekleidete Katuscha mit ihrem Tuch auf dem Kopfe hereinführte, und, er Katuscha erblickte, da war es ihm, als stocke ihm plötzlich alles Blut in den Adern.
    »Ich will leben, ich will eine Familie und Kinder haben; ich will am Glück teilnehmen,« murmelte eine Stimme in seinem Herzen, die er schon lange nicht mehr gehört hatte.
    Er stand auf und ging Katuscha einige Schritte entgegen. Diese hatte noch nichts gesprochen; doch sie war ganz rot, aufgeregt, und betrachtete ihn mit einer Miene, von der er sich verletzt fühlte. Es war eine Miene, wie er sie an ihr noch nicht bemerkt, ein Gemisch von kühler Entschlossenheit und glühender Leidenschaft. Sie wurde rot und blaß; ihre Finger strichen am Saume ihrer Jacke auf und nieder, und bald sah sie ihm fest ins Gesicht, bald schlug sie schüchtern die Augen nieder.
    »So weißt du die Neuigkeit schon?« fragte Nechludoff.
    »Ja, ich habe sie schon erfahren ... doch ich habe mich nun entschlossen; ich werde mich mit Wladimir Iwanowitsch verheiraten.«
    Sie sprach sehr schnell, ohne innezuhalten. Offenbar hatte sie sich die Worte, die sie sprach, vorher zurechtgelegt.
    »Wie? mit Wladimir Iwanowitsch?« begann Nechludoff; doch sie unterbrach ihn:
    »Nun, was? Da er es so will, daß ich bei ihm leben soll ...«
    Sie hielt, wie entsetzt, inne und fuhr dann fort: »Da er es so will, daß ich bei ihm leben soll! Was könnte ich mir Besseres wünschen? Vielleicht werde ich ihm Freude machen ... Vielleicht werde ich mich nützlich machen können ... Was kann ich ...«
    Von zwei Dingen war nur eins möglich: entweder hatte sie sich in diesen Simonson verliebt und bedurfte Nechludoffs Opfer wirklich nicht mehr;
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