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Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Titel: Aufenthalt in einer kleinen Stadt
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Straße, da die Mietshäuser vor der Bise schützten.
    »Da ist Papa«, sagte das Mädchen und hüpfte zu einem jungen Mann, der sich an die Türe eines Schuppens lehnte, neben dem es stehenblieb und weiter Nußgipfel aß.
    Der Mann schien höchstens zweiundzwanzig. Er war blond wie das Mädchen, die Haare borstig, das Gesicht rund und rosig, der Körper schmächtig, fast knabenhaft, mit einer Lederjacke bekleidet, mit Pelzkragen, Manchesterhosen und groben Schuhen.
    »Kommen Sie näher«, sagte er zum Bankier, »wir haben miteinander zu sprechen. Ich heiße Bein. Natürlich heiße ich nicht so, aber für Sie bin ich Bein.«
    Es freue ihn, seine Bekanntschaft zu machen, antwortete der Bankier mit der Höflichkeit seines Berufs, und trat näher, unvorsichtigerweise, denn er lag mit einemmal auf dem Asphalt, von einem Fausthieb gefällt. Der junge Mann sah ruhig auf ihn nieder. Das Kind aß weiter. »Ist das ein böser Mann?« fragte es.
    »Nein«, sagte Bein, »das ist er nicht. Stehen Sie auf«, wandte er sich dann an den Bankier, »kommen Sie.«
    De Schangnau erhob sich mühsam.
    »Kommen Sie in den Schuppen«, forderte Bein ihn auf, und de Schangnau ließ sich hereinführen. Er solle sich bücken, sonst beschmutze er sich, hier sei ein Handtuch und da ein Becken mit frischem Wasser. Es sei nur Nasenbluten, das gehe schnell vorüber, hörte er Bein sagen, während er das nasse Tuch gegen sein Gesicht preßte, das sich rot färbte.
    Herr Bein habe sonderbare Manieren, meinte der Bankier endlich, wie das Blut gestillt war.
    »Das Leben, nur das Leben«, bedauerte der andere. »Ich 27

    schlug Sie nieder, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben, keine Enttäuschung erleben, und ein zweites Mal hoffe ich es nicht tun zu müssen. Es wäre mir peinlich, denn ich bin ein höflicher, doch konsequenter Mensch. Und nun geben Sie mir Ihre Karte.«
    Sie standen in einem kleinen Holzschuppen voller Fässer, in den das Licht durch ein kleines Fenster mit verstaubten Scheiben fiel. Auf einer Kiste stand das Becken, nun mit blutigem Wasser, und daneben lag das Handtuch, ebenfalls blutig, alles sichtlich vorbereitet. Neben der Türe ein Haken, ein schwerer Hammer und ein großer Meißel.
    Das Mädchen war auch hereingekommen, schaute de Schangnau an und aß am zweiten Nußgipfel.
    Bein las die Karte, die ihm der Bankier übergeben hatte, nahm eine Brieftasche aus seiner Jacke und legte die Karte hinein. »Bertram Freiherr von Schangnau, Bankier, Rue Pestalozzi 10, Yverdon«, sagte er. »Ist das mit dem Freiherr in Ordnung?«
    »Nein«, sagte de Schangnau.
    »Sehen Sie, das dachte ich mir doch«, meinte der andere.
    »Verkracht? Habe es in der Zeitung gelesen, Ihre Bank ist flötengegangen. Nun wollen wir sehen, was Sie bei sich haben.« Er trat auf den Bankier zu, mit ruhigen Bewegungen, eigentlich durchaus sympathisch, durchsuchte de Schangnaus Taschen, tastete ihn ab, als suche er Waffen. »Sieben Franken sechzig«, sagte er, indem er de Schangnaus Portemonnaie leerte. Eine Quittung könne er ihm leider nicht geben, und auch die Fahrkarte nicht lassen, wirklich, es tue ihm leid, und auch die goldene Armbanduhr sei zum Leben nicht unbedingt nötig.
    Der Bankier wehrte sich nicht, zuckte nur bedauernd die Achseln, er hatte am Faustschlag genug, und nach Heldentum war ihm nicht zumute, der falsche Freiherrtitel, eben einge-standen, enthob ihn dieser Zumutung. Eine Gauloise, fragte 28

    Bein und hielt ihm ein geöffnetes Zigarettenetui hin. Der Bankier dankte, es rieche nach Benzin, in den Fässern sei wohl solches enthalten, und so sei ihm das Rauchen denn doch zu gefährlich. Wie der Freiherr wünsche, antwortete der andere und steckte sich eine Gauloise in Brand, blies den Rauch durch die Nase. Was dies nun alles bedeute, fragte de Schangnau. Er habe vor, ein Geschäft zu machen, erklärte Bein die merkwürdige Szene. Am liebsten möchte er einen Zigarrenladen eröffnen, doch nicht hier in Konigen, das ihm nicht liege, sondern in Zürich. Er brauche Kultur, gute Musik, anständiges Theater, hier komme er auf den Hund, moralisch und finanziell. Das sei ein löblicher Entschluß, bestätigte de Schangnau, jedenfalls bedeute dies dem gegenüber, was Herr Bein jetzt treibe, einen Fortschritt.
    »Wir sind wohl beide gleich weit vom Zuchthaus«, stellte der andere fest, »Sie haben den Stöpsel in die Luft gesprengt.«
    Woher er das wisse, fragte der Bankier, dem seine Lage deutlicher wurde, nun doch bereit, eine Zigarette zu
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