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Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Titel: Aufenthalt in einer kleinen Stadt
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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rauchen.
    Bein schwieg. Ob er ihn erpressen wolle, forschte de Schangnau.
    »Warum nicht?« gab der andere seine Absicht endlich zu, schaute den Bankier nachdenklich an und gab ihm Feuer.
    Es gehe noch einen Nußgipfel kaufen, es habe noch Geld von dem Mann, sagte das Mädchen, dem es im Schuppen langweilig geworden war, öffnete die Türe und hüpfte davon.
    Die beiden traten auch hinaus und standen nun in der Sonne.
    Von der Fabrik her gingen Arbeiter an ihnen vorbei. »Ihr Vorschlag?« fragte de Schangnau und blickte nach einer Frau, die auf einem Balkon Wäsche von der Leine nahm.
    »Zwanzigtausend.«
    Soviel könne er nicht zahlen, antwortete der Bankier.
    »Weiß ich«, sagte Bein, »Sie sind ruiniert, und so können Sie sich mein Schweigen nicht leisten.«
    Dem Bankier kam die Begegnung immer unwirklicher vor.

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    Warum er denn diesen Vorschlag gemacht habe?
    Um ihm eine Chance zu geben, antwortete der andere in seiner rätselhaften Art, dies verlange die Höflichkeit, auch wenn kaum eine Möglichkeit vorhanden sei, daß der Freiherr davonkomme. Zwanzig für sein Schweigen sei recht und billig, denn zwanzig hätte man ihm geboten.
    »Wofür?« fragte de Schangnau.
    »Damit ich Sie töte«, sagte Bein.
    Nun fing eine Frau auf einem anderen Balkon an, Teppich zu klopfen, ihr folgten weitere Frauen, dicke, gesunde Frauen-zimmer mit gewaltigen Armen und Kräften. War das Gespräch eher behutsam geführt worden, so mußten nun die beiden schreien, wollten sie sich einander verständlich machen, dazu hatten sie einem Lastwagen auszuweichen, der in den Hof gefahren kam, von dem Arbeiter lange Eisenstangen abluden.
    Er könne natürlich auch den Auftraggeber erpressen, erklärte Bein durch den Lärm hindurch, und auch in diesem Falle würde er zwanzig verlangen, er gehe korrekt vor, ehrenhaft auch im zweifelhaften Geschäft.
    Herr Bein scheine unentschlossen, stellte de Schangnau fest.
    Er wisse, wer das Heimatmuseum in die Luft gesprengt und wer die Bombe hergestellt habe, schrie der andere, dies gelte es auszunützen. Wissen sei Macht.
    Der Bankier, durch die Nähe der Arbeiter und der Frauen mutig geworden, überdrüssig der verwirrenden Situation, trat zu Bein und faßte ihn am Pelzkragen.
    »Herr«, schrie er und hatte Mühe, sich im immer tosenderen Lärm verständlich zu machen, denn nun klopften an die zehn Frauen ihre Teppiche aus, und unter bösartigem Zischen entwich eine Dampfwolke der Fabrik, »Herr«, schrie er, »von wem Sie zwanzigtausend verdienen wollen, indem Sie mich zu ermorden suchen oder einen anderen zu erpressen, ist mir gleichgültig. Ich hoffe nur, daß Sie einsehen, wie dumm und gemein Sie handeln.«

    30

    Ob Herr de Schangnau dies wirklich glaube, erbleichte der andere, nahm die Hände des Bankiers von seinem Kragen und zog den Überraschten aus dem Hof in die Seitengasse, wo er ihn fahren ließ.
    »Das Leben, nur das Leben«, stammelte er bestürzt, »es ist das erste Mal, daß ich so etwas mache. Ich habe nicht die geringste Erfahrung. Auch dem Antrag, Sie zu töten, stehe ich hilflos gegenüber, ohne Ahnung, wie man das anstellt, wir sind schließlich in Konigen und nicht in Paris oder Chicago. Ich bin für jeden Rat dankbar, glauben Sie mir. Und vor allem habe ich Angst, scheußliche Angst, es könne schiefgehen.«
    Sie gingen zur Hauptstraße, Bein hatte das Rosige verloren und war nun nichts weiter als ein hilfloser, schüchterner Bursche. Ob er ihn in seine Wohnung einladen dürfe, fragte er den Bankier, sie sei nicht weit von hier. De Schangnau schüttelte den Kopf. Er wisse genau, wo Bein wohne, sagte er, er habe das Mädchen in der Türe stehen sehen, doch in Anbe-tracht der Aufträge, die Herr Bein entgegennehme, lasse er einen Besuch lieber bleiben.
    »Schade«, sagte Bein.
    Er bedaure auch, entgegnete der Bankier, er gehe nun zur Polizei und sei entschlossen, sein Mißgeschick zu gestehen.
    Ob er dann auf ihn zu sprechen komme, fragte der andere.
    »Natürlich.«
    Wie sie die Hauptstraße erreichten, stand das Mädchen wieder da, durchfroren, immer noch Nußgipfel essend und neugierig auf die beiden starrend.
    Zum Centralplatz gehe es hier hinunter, sagte Bein, etwas kleinlaut, immer der Hauptstraße nach. Die Polizei befinde sich neben der Schweizerischen Kreditanstalt.
    De Schangnau nickte, er habe sich schon bei einem Polizisten erkundigt.
    »Ich will Sie nicht hindern«, sagte Bein, »Sie sind ein freier Mann. Hören Sie sich die Brüder einmal an. Handeln Sie nicht
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