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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman
Autoren: Ulla Hahn
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hat uns doch den Heilijen Jeist jeschickt. Wer zu Jott betet, der kann dat in jeder Sprache tun. Jott versteht alles. Un er sprischt zu jedem so, dat der dat versteht. Jott sprischt alle Sprachen.«
    Und Bertram und ich waren mit unserem Latein am Ende.
     
    Verblüffenden Erfolg hatten wir dagegen, als wir am Nachmittag die Mutter gemeinsam mit Tante Berta und Cousine Hanni im sonntäglich geheizten Wohnzimmer antrafen. Berta war die ältere Schwester der Mutter, resolut in dem Maße wie die Mutter zaghaft. »Et kütt, wie et kütt«, sagte man in Dondorf. So weit waren sich die Schwestern einig. Doch dann schlussfolgerte die Tante: »Et es noch immer jutjejange«, während die Mutter überzeugt war: »Dat dicke Äng kütt noch«, 16 woran sie ihre klammheimliche Freude hatte. Hanni, früher Arbeiterin in der Weberei, war verheiratet; Rudi, ihr Mann, Reitlehrer, hatte einen Hof geerbt, Land verkauft, also jet an de Föß. 17
    Die Frauen beugten die Köpfe über eine Zeitungsbeilage; der Winterschlussverkauf stand bevor.
    »Die feminine Linie in der Mode«, Hannis Stimme klang beschwingt, fast frohlockend. »Hier kuckt mal, die Kostümschen. Der reine Luxus.«
    Bertram stieß mich in die Rippen. Die Frauen sahen auf.
    »Wat wollt ihr denn hier?« Die Mutter machte eine Handbewegung, als wolle sie uns verscheuchen, doch Hanni rückte schon auf dem Sofa für Bertram und mich zur Seite. »Wie jeht et denn in der neuen Schul?«, fragte sie beiläufig, und ich antwortete ebenso unverbindlich: »Jut«, und das reichte uns allen.
    »Dat interessiert die Kenger doch nit.« Tante Berta, aus ihrer Strickjacke dampfend, schnippte auf die Zeitung und fasste uns
über ihre Brille hinweg, die sie neuerdings zum Lesen brauchte, tadelnd ins Auge.
    »Von wejen.« Bertram zog Hanni das Faltblatt aus der Hand. »Hier! Die feminine Linie in der Mode. Luxus pur und exklusiv für die elegante Dame. Wisst ihr überhaupt, wat ihr alles könnt? Dat hier ist Latein! Und ihr könnt dat lesen! Und verstehen!«
    Die Frauen sahen Bertram an, als hätte der den Verstand verloren. Jetzt war ich dran. »Feminin, das kommt von lateinisch femina, die Frau, Linie kommt von linea, die Linie«, dozierte ich, »Mode von modus, die Art und Weise, Luxus haben schon die alten Römer gesagt und pur und exklusiv auch. Dame kommt von domina, die Herrin, und elegant, das sagte man auch schon vor Christi Geburt, wenn jemand anständig angezogen war. Ist das nicht einfach wunderbar? Dass wir so alte Wörter gebrauchen für ganz neue Sachen?« Ich biss mir auf die Lippen. Zu viel des Gutgemeinten.
    Betretenes Schweigen.
    »Un so wat lernt ihr?« Hannis Stimme hatte ihre selbstgewisse Fröhlichkeit, mit der sie die Annonce! vorgelesen hatte, verloren. Aber ich glaubte auch, einen Unterton zaghafter Bewunderung herauszuhören.
    Nicht einmal die Tante wagte, ihr Lieblingswort hervorzustoßen, das sie für alles parat! hielt, was ihr nicht passte, sagte nicht: Kokolores!, holte tief Luft, senkte das vielfache Kinn in den V-Ausschnitt und murrte, wenn auch ungewohnt verhalten, beinah kleinlaut: »Un wat has de davon, dat de dat all weißt?« Doch mit jeder Silbe gewann die Tante ihre Courage! zurück. Hämisch sah sie die Mutter an: »Dofür jibt dir doch keiner ne Penne. Wenn dat alles es, wat se ösch beibrenge!« Und dann kam sie doch noch, die Verdammnis: »Kokolores!«
    Aber Hanni hatte Feuer gefangen, und die Mutter schlug sich ohnehin stets auf die Seite der Gegner ihrer älteren Schwester.
    »Wat wisst ihr denn noch für Wörter, die mir von de alte Römer haben?« Trotzig sah die Mutter der Tante ins schadenfrohe Gesicht.

    »Alle Wörter«, sagte Bertram, »die mit -at aufhören, kommen aus dem Lateinischen. Zum Beispiel privat, separat …«
    »Parat?«, fragte die Mutter zögernd.
    »Rischtisch!«, schrien Bertram und ich.
    »Adveniat«, sagte die Mutter mit fester Stimme. Das musste stimmen, es kam aus der Kirche.
    »Kandidat«, platzte Hanni heraus.
    »Resultat«, rief die Mutter.
    »Diktat!«
    »Sabbat!«
    »Kamerat!«
    »Inserat!«
    »Schluss jitz!« Die Tante schwenkte das Zeitungsblatt, als wollte sie die lästigen Lateiner wie Ungeziefer herausschütteln. »Maria, mach uns ens en Botteramm! Met Kies! 18 Kütt dat och von dinge ahle Römer?« Die Tante sah mich an wie die Katze die Maus vorm letzten Hieb.
    »Ganz genau! Ausgezeichnet! En Botteramm mit Kies! Tante«, sagte ich, »das ist reines Latein!«
    Die Tante schnaufte ungläubig.
    »Butter, das
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