Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
ihrem Geburtstag, hatte die Mutter das Blatt abgerissen und bis heute für einen besonderen Tag aufbewahrt.
    Der Platz im Silberpapier schien noch warm. Ich biss hinein, spürte die knusprige Kruste rau am Gaumen, schmeckte der weichen, würzigen, nicht zu luftigen, nicht zu festen Masse nach, mischte sie mit meinem Speichel, kostete sie aus und hatte wie durch einen Filter, den Filter von Großmutters Backkunst und Gottvertrauen, nur das Gute und Liebe meiner Kindheit auf der Zunge.
    Mit dem Kuchen der Mutter und einem Teebeutel - »Kamillentee, da schläfs de jut« - trat ich in den Gang hinaus. Aus einem der namenlosen Zimmer drang leise Musik, »schlummert ein, ihr matten Augen«, sang das Klavier, »fallet sanft und selig zu«, hier bist du geborgen in Abrahams Schoß.
    In der Küche brannte Licht. Der Wasserkocher zischte. Am Tisch ein Mädchen im blauen Trainingsanzug, das mich fröhlich grüßte und einladend auf den Stuhl neben sich klopfte. »Gretel Kürten«, streckte sie mir ihre Hand entgegen, und ich schwankte einen Augenblick zwischen Hilla und Hildegard.
    Gretel sah aus wie ein Gretelein aus dem Märchenbuch; alles an ihr wirkte unschuldig, kindlich, die blonden Kringel, die blauen Augen und gesunden Wangen, das kirschkleine Mündchen, sogar die kurzgefeilten, rosig runden Fingernägel, die, wie die meinen, kaum einen Halbmond zeigten.
    »Da sind die Teller«, Gretel wies auf den Wandschrank, ihre quirlige Stimme schien Löckchen, Augen und Mund zum Schwingen zu bringen, »und da das Besteck.«
    Ich versorgte mich mit Teller, Tasse, einer Kuchengabel, während Gretel munter drauflosredete. »Hilla heißt du? Das
meint doch sicher Hildegard. Aber Hilla gefällt mir besser. Was trinkst du denn da? Kamillentee? Puh, wie gesund! Hier, probier mal.« Gretel legte ein Stück von ihrem Kuchen auf meinen Teller. »Von der Mutter.«
    »Und der hier«, ich zog ihren Teller zu mir und schob ein Stück von meinem Kuchen darauf, »ist von meiner Mutter.«
    Wir sahen uns an und lachten. Die Stücke waren kaum voneinander zu unterscheiden. Das dunkelbraune Marmormuster sah uns von jedem Teller gleich orakelhaft an.
    »Hast du es dir auch schon gemütlich gemacht?«, seufzte Gretel mit einem Blick auf meine Kleidung, stopfte sich ein Stück Kuchen in den Mund, kaute und gähnte. »Ja, ich bin auch müde. Wir sehen uns ja morgen. Hast du schon was vor?«
    Ein bisschen erfuhr ich dann doch noch von ihr an diesem Abend, Germanistik und Theologie studiere sie, ihr Vater Religionslehrer am Möhlerather Gymnasium, katholisch natürlich, sieben Geschwister, alle spielten ein Instrument, eine richtige kleine Kapelle. Dann reckte sie sich, spülte Teller und Tasse ab, packte ihren Kuchen ein, strahlte mich noch einmal an und ging schlafen, was bei ihr wohl eher schlummern hieß, schlummern und blondgelockt träumen.
    Ich blieb noch eine Weile sitzen. Ich hatte mir einen Tee gekocht. Ein Stück Kuchen verschenkt und bekommen. Kuchen von zu Hause. Tee von hier. Ob Bertram schon im Bett lag? Ich sah mich in der Küche um. Ein Elektroherd, zwei Kochplatten. Ein Schrank, darin Abteile für Lebensmittel. Unter der Spüle der Abfalleimer, daneben ein halbhoher Schranktisch mit Töpfen und Pfannen. Darüber im Wandschrank Geschirr. Ich dachte an Elephteria, Elpida und Nestoria in ihrer Baracke und lächelte ihnen zu aus meiner Geborgenheit im Hildegard-Kolleg, lief in mein Zimmer, holte die feste Tüte, die die Großmutter zu den Päckchen der Mutter gelegt hatte. »Vorsischtisch«, hatte sie gemahnt, »die sin janz frisch.« Behutsam schälte ich aus dem braunen Packpapier eine zweite weiße Tüte, darin vier Ovale, in Silberpapier aus
dem Heidenkinderschatz. Wickelte eines nach dem anderen aus und füllte die eisige Leere des Kölner Kühlschranks mit Dondorfer Eiern, am Morgen von der Großmutter eingesammelt. Erhitzte eine Platte, die Pfanne darauf, schlug ein Ei entzwei und verrührte es, ungeschickt und triumphierend. Ich stand am Herd und rührte, sog den Duft von heißem Eisen und Eimasse ein, rührte einmal, zweimal, siebenmal, schabte die stockende Masse vom Pfannenboden, hackte darin herum, ungestüm und stolz, als gälte es der ganzen Welt zu zeigen: Hier war eine, die Rührei zustande brachte. Ich kratzte die gelbbraunen Eierbatzen aus der Pfanne auf den Teller zu den Kuchenkrümeln. Kein Fett, kein Salz. Es schmeckte sehrsehr gut. Morgen würde ich mir das alles kaufen. Salz und Margarine - oder sollte ich mir Butter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher