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Auf Umwegen ins Herz

Auf Umwegen ins Herz

Titel: Auf Umwegen ins Herz
Autoren: Sarah Saxx
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hörte, war ein leises Säuseln. Meine Reaktion bestand entweder darin, dass ich meine Augen schloss oder dass ich ihnen einen kurzen Blick zuwarf, der sie verstummen lassen sollte. Die ersten paar Tage war ich damit noch erfolgreich, doch irgendwann ließ sie mein Blick kalt, mein Anblick anscheinend immer weniger.
    Ich wusste, dass ich schwächer wurde. Mein Kreislauf verabschiedete sich regelmäßig, wenn ich mich auf dem Weg zur Toilette durch die Wohnung hangelte. Ich wusch mich immer nur kurz und bemühte mich, einmal täglich meine Kleidung zu wechseln. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich etwas Frisches anhatte oder ob das noch das T-Shirt vom Vortag war. Tag und Nacht verschwammen zu einem dunklen See, aus dem ich nicht mehr raus kam.
    Ich hatte die Jalousien verdunkelt, und, als Isa einmal versuchte, die Sonne in meine Wohnung zu lassen, rastete ich aus und schrie sie an, dass meine Jalousien nur von mir bedient werden dürften. Seitdem blieb es dämmrig.
    Am liebsten war mir die Zeit alleine. Ohne dass ich die anklagenden Blicke oder das Essen abwehren musste. Meistens lag ich einfach nur da, bewegungslos. Mein Körper war taub, ich konnte mich selbst kaum mehr spüren. Manchmal hatte ich Angst, ich würde mich selbst verlieren, doch genau dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass es nicht mehr lange dauern würde, gab es mir wieder einen Stich ins Herz.
    Tränen hatte ich längst keine mehr, meine Nase schmerzte vom ständigen Putzen. In regelmäßigen Abständen wurde ich von heftigem Schluchzen geschüttelt.

    Julians Aufforderung kam ich zumindest zum Teil nach. Ich löschte seine Nachrichten auf Facebook, seine SMS und seine Telefonnummer. Vergessen konnte ich ihn deshalb noch lange nicht. Das war wahrscheinlich genauso wie mit einer vermissten Person: Wurde sie tot gefunden, konnte man sie begraben und endlich mit ihr abschließen. Julian jedoch war nicht tot. Er war irgendwo, offensichtlich gefangen in seiner eigenen Version von Wahrheit.
    Mein Handy hatte ich auf stumm gestellt, denn mir war absolut nicht nach Telefonieren. „Nur für den Notfall“, hatte meine Mom gemeint, sollte ich doch dafür sorgen, dass der Akku aufgeladen ist. Meinen Laptop hatte ich seit Tag X nicht mehr in den Händen. Dafür wurde der Fernseher zu meinem besten Freund. Der berieselte mich Tag und Nacht und gab mir das Gefühl, doch nicht ganz alleine zu sein. Anfangs hatte ich probiert, ohne Flimmerkiste einzuschlafen, doch die Stille raubte mir den letzten Nerv, und nach nicht einmal einer halben Stunde gab ich auf und schaltete sie wieder ein.

    Es waren inzwischen fast zwei Wochen vergangen – es musste Montag gewesen sein –, da kamen Isa und meine Mom gemeinsam in meine Wohnung. Irgendwas war diesmal anders als sonst. Ich wusste nicht genau, was es war, aber es lag eine seltsame Spannung in der Luft, die mich dazu brachte, mich kurz auf der Couch aufzurichten. Ich beobachtete die beiden im Flur, als sie tuschelten und in meine Richtung deuteten.
    Toll, redet nur über mich, ich weiß ja selbst, dass ich ein jämmerliches Bild abgebe. Ich legte mich wieder hin, starrte ins Leere und hing meinem Schmerz nach, so, wie ich es bereits seit Hunderten von Stunden tat.
    Isa setzte sich wieder vor mich auf den Wohnzimmertisch, doch ich hatte keine Lust, mir ihre Predigt anzuhören. Ihre Worte ließ ich an mir abprallen und hüllte mich ein in meinen Schutzmantel, der mich vor der Realität beschützte. Im Augenwinkel, wie durch einen dunklen Schleier, nahm ich meine Mutter wahr, die sich neben Isa setzte.
    Plötzlich zuckte ein Blitz vor mir auf. Helles, gleißendes Licht brannte in meinen Augen, die ich vor lauter Schreck und Blendung schloss. Jemand packte mich und brachte mich in eine aufrechte Position. Ein heißer Schmerz durchfuhr meine Wange, und ich zuckte zusammen. Benommen öffnete ich meine Lider, verwirrt, orientierungslos, schwindelig. Meine Wange glühte förmlich. Ich hielt sie mit einer Hand und blickte geschockt in die Augen der beiden Frauen.
    Der Schock und der körperliche Schmerz holten mich zurück ins Hier und Jetzt. Zum ersten Mal seit Tagen nahm ich meine Umgebung bewusst wahr. Das graue Tuch, das mich umhüllt und die Welt von mir ferngehalten hatte, fiel und ich öffnete meine Augen für die Wirklichkeit.
    Meine Mutter saß mir direkt gegenüber und musterte mich mit entschuldigendem Blick, während Isa mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. Und langsam dämmerte es mir, was eben geschehen
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