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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Autoren: Ursula Naumann
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Herzens folgend, mit unverstellter Offenheit. Ihr Äußeres spiegelt diese Tugenden. Sie ist von etwas mehr als mittlerer Größe, und wenn ihre Figur auch nicht durch den Tanzlehrer geformt ist, wie uns die Autorin wissen läßt – sie also wohl etwas zur Fülle neigt –, besitzt sie doch eine Anmut, die keine Kunst verleihen kann, und ein Madonnengesicht, das durch den Ausdruck von Klugheit und Beseeltheit ungemein anziehend ist. Und natürlich istJulia Dichterin wie Helen, vielmehr als Dichterin ist Julia Helen, die einige ihrer poetical pieces in den Roman einflocht. Daß Julia so musterhaft gelungen ist, verdankt sie der Erziehung durch einen alleinerziehenden Vater.
    Wer sich so darstellt, will sich unangreifbar machen. Mimikry gehört seit undenklichen Zeiten zur Überlebenskunst der Frauen, und Helen Maria Williams hat sie meisterlich beherrscht. Die Konvention ist das beste Versteck, das es gibt. Die überfreigebige Zurschaustellung erwünschter, erlaubter Gefühle – sensibility – war tatsächlich äußerste Verschlossenheit. Helens Julia erlebt die sogenannte gute Gesellschaft Londons als kalt, boshaft, neidisch, eitel, oberflächlich, heuchlerisch, eifrig darauf bedacht, den Mitmenschen zu schaden und ihre Fehler und Schwächen bloßzustellen. »Mrs. Melbournes Verstand war wie ein Raubvogel«, heißt es von einer ganz besonders unangenehmen Dame. »Sie drang hellsichtig in die Charaktere ihrer Bekannten ein, erkannte all ihre Torheiten und konnte mit großer Schärfe auf sie herabstoßen.«
    Nun aber verliebt sich ausgerechnet diese in Tugend gepanzerte Julia heftig in den Mann ihrer netten, aber unbedeutenden kleinen Cousine und Freundin Charlotte (nach Werthers Charlotte) und wird von diesem ebenso heftig wiedergeliebt.
    Für Julia ist es ganz ausgeschlossen, daß sie seinem Werben nachgibt, sie schafft es aber auch nicht, sich den Geliebten (Seymour heißt er) aus dem Herzen zu reißen. Wo nichts passieren darf, die Liebenden aber unaufhörlich nur an das Eine denken, herrscht pure Frustration. Julia ist im lähmenden Doppelgriff von verbotener Leidenschaft und tugendhafter Selbstkontrolle gefangen, die um so schwerer fällt, als Seymour sie heftig bedrängt. Man ist als Leser froh, wenn die Quälerei und der Roman mit dem Tod Seymours endlich aufhören. Er bringt sich nicht um wie Werther, sondern erliegt zermürbt einer Krankheit. Julia wird unverheiratet bleiben.

    5  Lotte an Werthers Grab.
Stich von John Raphael Smith, 1783.
    Nicht erst die Hingabe, schon die Leidenschaft ist das Verbrechen, Julia und Seymour sind selbst schuld an ihrem Unglück,weil sie es nicht fertiggebracht haben, sie zu unterdrücken. Das wollte Helen ihren Leserinnen als Moral des Romans verkaufen. »Es ist die Absicht dieser Seiten, die Gefahr aufzuzeigen, die aus der unkontrollierten Hingabe an starke Empfindungen erwächst«, schreibt sie in der Vorbemerkung. Eine Warnung, die man (um eine schweizerische Redensart zu gebrauchen) den Hasen geben kann. Aber das wußte Helen im Grunde auch selbst, allerdings nicht als Julia, sondern als Seymour.
    In einer Szene des Romans betrachten die Liebenden einen Stich, der Charlotte an Werthers Grab zeigt.
    Julia: »Ich glaube, es kann über dieses Buch nur eine Meinung geben. Jeder muß anerkennen, daß es gut geschrieben ist, aber wenige werden seine Prinzipien rechtfertigen wollen.«
    Seymour: »Ich bin einer dieser wenigen. Warum interessiert uns Werther? Weil er kein Phönix aus einer Romanze ist, sondern die Gefühle und Schwächen eines Menschen hat. Er ist derMacht der Leidenschaft unterworfen. Mögen die, die sie nie gefühlt haben, ihn verdammen; diejenigen, die sie gekannt haben, wissen nur zu gut, daß sie absolut und unbesiegbar ist. Das Herz, das aus einer unheilbaren Wunde blutet, braucht die kalten Ratschläge der Vernunft nicht, um zu wissen, daß solche Gefühle schmerzhaft sind und unterdrückt werden sollten.«
    Sollten! Als Mary Wollstonecraft Helens Roman las, den sie für eine Zeitschrift, die Analytical Review , besprechen sollte, war sie in einer ähnlichen Lage wie Julia. Sie war leidenschaftlich in einen verheirateten Mann verliebt, also sozusagen die Heldin einer wirklichen Dreiecksgeschichte mit noch ungewissem Ausgang. Eine Julia war sie nicht.
    »Jedem Leser muß bald auffallen, daß Julia so feste Prinzipien hat, daß nichts sie versuchen kann, unrecht zu handeln; und da sie wie ein Felsen erscheint, gegen den die Wellen vergeblich schlagen,
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