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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Autoren: Ursula Naumann
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Dictionary den Begriff auszuloten; das Pathos, das Glücksversprechen, das dieses »Genie des Herzens« für Helen und ihre Zeitgenossen zum Objekt der Begierde und Kultivierung machte, bekommt ein Lexikon naturgemäß nicht zu fassen.
    » Sensibility ist die erlesenste Empfindung, deren die menschliche Seele empfänglich ist: Wenn sie uns erfüllt, sind wir glücklich, und wenn sie unvermischt bleiben könnte, würden wir uns von der Seligkeit jener Tage im Paradies eine Vorstellung machen können, da die Leidenschaften der Vernunft gehorchten und der Ausdruck des Herzens keiner Korrektur bedurfte«, schreibt MaryWollstonecraft um die gleiche Zeit, da Helen ihre Poems veröffentlicht. »Es ist diese Raschkeit, diese Zartheit des Empfindens, die uns befähigt, die sublimsten Züge des Dichters und Malers zu genießen; sie ist es, die die Seele erweitert und ihr eine begeisterte, mit Zärtlichkeit gemischte Größe verleiht, wenn wir die großartigen Gegenstände der Natur betrachten oder von einer guten Tat hören. Die gleiche Wirkung empfinden wir im Frühling, wenn wir freudig die Rückkehr der Sonne und die Erneuerung der Natur begrüßen; wenn die Blumen sich öffnen und ihren Duft ausströmen und man die Stimme der Musik vernimmt. Von Zärtlichkeit erweicht, ist die Seele zur Tugend geneigt. Kann man irgendeinen sinnlichen Genuß mit dem vergleichen, den man fühlt, wenn die Augen feucht geworden sind, nachdem man die Unglücklichen getröstet hat?«
    Wonnen der Wehmut! Weil es Leid ist, fremdes, aber auch eigenes, das dem fühlenden Herzen den höchsten Selbstgenuß als moralisches Wesen verschafft, nährt sich sensibility bevorzugt von dieser Speise. Als Prüfstein menschlichen Wertes fand sie ihren sichtbaren und, wie viele glaubten, meßbaren Ausdruck in Tränen. Je tränenseliger, desto besser! Die Dichter sorgten dafür, daß die Augen ihrer Leser feucht blieben. »Trocknet nicht, trocknet nicht / Tränen unglücklicher Liebe!«
    Der ehrgeizigste Text der Poems ist ein historisches Versepos in sechs Gesängen, das die politische, emanzipatorische Dimension des Gefühlskults deutlich werden läßt. Nach seinem Schauplatz heißt es Peru und ist artig mit Quellenangaben versehen. Helen erzählt, wie die Spanier auf der Jagd nach Gold in ein Paradies unverdorbener Natur eindringen, Tod und Schrecken um sich verbreiten, grausam das Glück von Familien und Liebenden zerstören und für Jahrhunderte eine Gewaltherrschaft etablieren. Am Ende aber steht die Hoffnung, daß es damit bald ein Ende haben wird. Revolution liegt in der Luft. Die Völker Südamerikas werden sich gegen ihre Unterdrücker erheben und ihre Freiheit erkämpfen!

    4  Frontispiz zu »Poems« von Helen
Maria Williams.
Von Maria Cosway, 1786.
    Es muß den meisten Lesern klar gewesen sein, daß Helensmenschenfreundliche, gefühlvolle, schlicht gereimte Gedichte ihr keinen unvergänglichen Lorbeer einbringen würden, aber man fand doch, daß sie hübsch grün waren. Der junge William Wordsworth schrieb ein Sonett auf die Tränen von Miss Williams. Anna Seward, the Swan of Lichfield , fand zwar einiges zu monieren, zum Beispiel Helens mangelnde ornithologische Kenntnisse, sprach sich aber doch beifällig über ihre echte sensibility und die »sublimen Schöpfungen ihrer Phantasie« aus und trat mit ihr in einen Briefwechsel ein. Die Anerkennung dieser unabhängigen, willens- und meinungsstarken Frau, die mit Elegien über »erschlagene Helden« (zum Beispiel Captain Cook) bekannt geworden war, wird Helen besonders wichtig gewesensein. Selbst die scharfzüngige, witzige Hester Lynch Piozzi (verwitwete Thrale), die zwei Jahre zuvor durch ihre Heirat mit einem italienischen! katholischen! Musiklehrer die Gesellschaft schockiert und unlängst ein Anekdotenbuch über ihren Freund Dr. Johnson veröffentlicht hatte, fand Gefallen an fair Helen  – der schönen Helena –, wie sie die neue Freundin liebevoll-spöttisch nannte.
    In ihrer Wohnung am Bloomsbury Square empfing Helen als salonière regelmäßig Gäste und gab literarische Frühstücke – »eine beliebte, aber deprimierende Form der Unterhaltung. Wenn Literatur dem Menschen je fremd ist, dann zur Frühstückszeit«, so die amerikanische Essayistin Agnes Repplier. Inzwischen traute sich Helen auch an aktuelle, sogar an politische Themen.
    Zur offiziellen Biographie von Captain Cook, die ihr Mentor Andrew Kippis verfaßt hatte, steuerte sie ein Gedicht bei, eine wortreiche Klage über den
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