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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Autoren: Ursula Naumann
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oft belagert. Von dieser Geschichte zeugen noch heute mächtige Befestigungsanlagen, die Elisabeth I . erbauen ließ. Auch nach der Vereinigung der feindlichen Brüder zu Großbritannien blieb Berwick Garnisonsstadt. Offiziell ist sie nie von England annektiert worden. War (ist) sie also schottisch oder doch englisch oder keines von beiden? Lange Zeit hatte sie einen eigentümlichen Sonderstatus und mußte in Parlamentsakten extra genannt werden. Der Krimkrieg wurde Rußland von Großbritannien, Irland – und Berwick-upon-Tweed erklärt.
    Von den alten barracks sind nur noch Ruinen geblieben. Andere Relikte aus der Vergangenheit sind ein Torwärterhäuschen, die malerische Sandsteinbrücke über den Tweed und die graue Kirche – mit Flachdach und ohne Turm –, die etwas von einer Kaserne hat. Ziemlich grimmig war auch die Religion, in der die Williams-Mädchen erzogen wurden. Die »inbrünstige, ernste, tiefe« Frömmigkeit ihrer Mutter wurde in der Familie legendär. Vor allem das Gebot der Feiertagsruhe brannte sich Helen ein. Sonntags gehörten die Gläubigen Gott – »mit Haut und Haaren«. Wie am jüdischen Sabbat war schon am Vorabend jede Tätigkeit untersagt und natürlich erst recht jedes Vergnügen. Lachen verboten!
    Die Familienbibel war das wichtigste Buch im Haus. Helen las ihrem Großvater abends stundenlang daraus vor. Noch viele Jahre später schaute sie sich und ihm dabei zu. »Ihren Stuhl hat sie ganz dicht an seinen Stuhl gezogen, sie liest mit erhobener Stimme, weil er nicht mehr gut hört. Ich sehe den alten Mann im langen grünen Schlafrock und weißer Nachtmütze vor mir, wie er auf seinem scharlachroten Damaststuhl sitzt und ihr mit entrücktem Blick zuhört, wie er manchmal bei einer anrührenden Stelle zustimmend die Hände hebt und sich seine Lippen bei einem Ausruf bewegen.«
    Nennenswertes weltliches Wissen über den Elementarunterricht von Lesen, Schreiben und Rechnen hinaus konnte Mrs. Williams ihren Töchtern nicht vermitteln und hielt das wohl auchnicht für nötig. Daran hat vor allem Helen, die Klügere, Wißbegierigere von beiden, gelitten. Was wäre gewesen, wenn? In ihren Phantasien war sie das einzige Kind, war die Mutter früh gestorben, war es der Vater, der sich als Lehrer-Geliebter ganz ihrer kultivierenden Erziehung und Ausbildung verschrieb und auch ihre Neigung zur Dichtkunst mit Wohlwollen betrachtete.
    »Wohl keine andere Fähigkeit des menschlichen Geistes verschafft uns so dauerhaften Ruhm wie die Einbildungskraft. Aber selbst wenn die Begabung des Dichters dazu nicht ausreicht, kann ihre Ausbildung den wohltuendsten Genuß bringen. Auch wenn der Boden dem Wachsen unsterblichen Lorbeers nicht günstig sein mag, so kann er doch einige Pflanzen von vergänglichem Grün hervorbringen. Vielleicht ist es das kostbarste Vermögen der Poesie, daß sie den Geist von den düsteren Nebeln der Sorge oder den schwarzen Wolken des Unglücks, die sich manchmal über dem Lebensweg zusammenballen, in schöne, blühende Gegenden führt, die im hellen Sonnenlicht liegen.«
    Es war wohl gerade der karge Boden von Berwick-upon-Tweed, der solche Blütenträume reifen ließ. Helen hat sehr früh gewußt, daß sie Dichterin werden wollte. Ein Wunsch, der sich mit ihrem Bedürfnis nach kultivierter Geselligkeit schon in einem ihrer ersten Gedichte aufs innigste verband.
    »Als sie acht Jahre alt war, verfaßte sie ein Gedicht auf die Abreise einer ihrer jungen Gefährtinnen, in dem sie mit großem Eifer ihr ganzes klassisches Wissen ausbreitete und alle heidnischen Götter und Göttinnen, deren Namen man sie gelehrt hatte, dazu nötigte, nacheinander vorbeizuziehen, wie die Schatten von Banquos [ 5 ] Ahnenreihe.«
    1781 zog Mrs. Williams mit den Töchtern nach London, vielleicht, weil hier die Chancen, einen Ehemann für sie zu finden, größer waren als in der Provinz. Die zwanzigjährige Helen hatte andere Wünsche. Zur Realisierung ihrer literarischen Ambitionen brauchte sie die Großstadt und einen väterlichen Freund und Mentor.
    Sie fand ihn in dem presbyterianischen Geistlichen Dr. Andrew Kippis. Als Publizist, Schriftsteller und Herausgeber der Biographia Britannica spielte er in der Gelehrtenrepublik eine wichtige Rolle und kannte Gott und die Welt. Wie die meisten Dissenter – die Angehörigen der protestantischen Denominationen, die sich nicht zur anglikanischen Staatskirche bekannten und deswegen diskriminiert wurden – trat er für politische Reformen in seinem Land
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