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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Autoren: Marcel Proust
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diensteifrige Geplapper verzichten kann, das auf die Besucher oft einen guten Eindruck macht, hinter dem sich aber häufig nur ganz unverbesserliche Talentlosigkeit verbirgt.
    Wenn Françoise, nachdem sie sorgfältig achtgegeben hatte, daß meine Eltern auch alles hätten, was sie brauchten, ein erstes Mal wieder zu meiner Tante hinaufging, um ihr das Pepsin zu verabfolgen und sie zu fragen, was sie zum Mittagessen wünsche, dann war es selten, daß sie nicht schon über ein wichtiges Ereignis ihre Meinung äußern oder Erklärungen abgeben mußte:
    »Stellen Sie sich vor, Françoise, Madame Goupil istmit mehr als einer Viertelstunde Verspätung vorbeigekommen, um ihre Schwester abzuholen; wenn sie sich jetzt auf dem Weg auch noch im geringsten aufhält, sollte es mich nicht wundern, wenn sie erst nach der Wandlung in der Kirche erscheint.«
    »Nun ja! Das sollte mich auch nicht wundern«, antwortete Françoise.
    »Françoise, wenn Sie fünf Minuten früher gekommen wären, hätten Sie Madame Imbert mit Spargeln sehen können, mindestens doppelt so dick wie die von der Mère Callot; versuchen Sie doch von ihrem Dienstmädchen herauszubekommen, wo sie die aufgetrieben hat. Gerade wo Sie uns dieses Jahr an alle Saucen Spargel tun, hätten Sie für unsere Reisenden auch die Sorte nehmen sollen.«
    »Es sollte mich nicht wundern«, sagte Françoise, »wenn sie sie vom Pfarrer hätte.«
    »Ach, das glauben Sie ja selber nicht, meine gute Françoise«, gab meine Tante achselzuckend zur Antwort. »Vom Herrn Pfarrer! Sie wissen doch sehr gut, daß er nur ganz erbärmliche kleine Spärgelchen zieht. Ich sage Ihnen, die, die ich meine, waren so dick wie ein Arm. Natürlich nicht wie Ihrer, aber wie mein armer hier, der dieses Jahr noch wieder viel dünner geworden ist.
    Françoise, haben Sie das Schellen nicht gehört, bei dem mir der Kopf beinahe zersprungen ist?«
    »Nein, Madame Octave.«
    »Ach, mein gutes Mädchen, Ihr Kopf hält wirklich etwas aus, Sie sollten Gott dafür danken. Es war Magelone, die Doktor Piperaud geholt hat. Er ist gleich mit ihr herausgekommen, und sie sind in der Rue de l’Oiseau verschwunden. Ein Kind muß krank geworden sein.«
    »Ach, du lieber Gott«, seufzte Françoise, die ohne entsprechende Töne des Bedauerns von keinem Unglückhören konnte, das einem Fremden zugestoßen war, und wäre es auch am anderen Ende der Welt.
    »Sagen Sie, Françoise, für wen kann das Totenglöckchen geläutet haben? Ach, mein lieber Gott, gewiß für Madame Rousseau. Ich hatte ja ganz vergessen, daß sie vorige Nacht gestorben ist. Ach je! Es ist nun wirklich Zeit, daß der liebe Gott mich zu sich nimmt, ich weiß nicht mehr, wo ich den Kopf habe seit dem Tod meines armen Octave. Doch Sie vertrödeln Ihre Zeit, mein gutes Kind.«
    »Aber nicht doch, Madame Octave, so kostbar ist meine Zeit nun auch wieder nicht; der, der sie gemacht hat, hat sie uns nicht verkauft. Ich gehe nur schnell schauen, ob mein Feuer nicht ausgeht.«
    So würdigten Françoise und meine Tante gemeinschaftlich im Laufe dieser Vormittagsunterredungen die ersten Begebenheiten des Tages. Manchmal aber nahmen diese Ereignisse einen so geheimnisvollen und so gewichtigen Charakter an, daß meine Tante das Gefühl hatte, sie könne nicht warten, bis Françoise sowieso heraufkäme, und dann hallten vier schreckenerregende Klingelzeichen durchs Haus.
    »Aber, Madame Octave, es ist doch noch nicht Zeit für Ihr Pepsin«, meinte dann Françoise. »Ist Ihnen etwa schwach geworden?«
    »Nein, nein, Françoise«, sagte meine Tante, »das heißt doch, Sie wissen ja, wie selten jetzt die Augenblicke sind, in denen ich mich nicht schwach fühle; eines Tages wird es mit mir aus sein wie mit Madame Rousseau, ohne daß ich Zeit gehabt habe, es überhaupt zumerken; aber nicht deswegen läute ich. Können Sie sich vorstellen, daß ich ebenso leibhaftig, wie ich Sie vor mir sehe, Madame Goupil gesehen habe mit einem kleinen Mädchen, das ich nicht kenne? Gehen Sie doch und holen Sie Salz bei Camus. Es würde michwundern, wenn Théodore Ihnen nicht sagen könnte, wer es ist.«
    »Aber es wird die Tochter von Monsieur Pupin sein«, meinte Françoise, die sich lieber an eine naheliegende Erklärung hielt, da sie heute morgen bereits zweimal bei Camus gewesen war.
    »Monsieur Pupins Tochter! Ach, das glauben Sie ja selber nicht, meine gute Françoise! Und die sollte ich nicht wiedererkannt haben?«
    »Aber ich meine ja nicht die große, Madame Octave, ich meine die
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