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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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traurig.
    In einem sind sich alle einig, der weiße Unternehmer Don Beshel, der schwarze Flussmatrose Mickeria Williams und andere, mit denen ich gesprochen habe: Wenn nur Siedlungen im Delta zerstört worden wären und nicht auch New Orleans, dann ginge es ihnen heute glänzend. So aber hätten Politiker sich auf den Aufbau der Großstadt konzentriert. »Ich weine deshalb immer noch«, sagt Mickeria Williams. »Die ländlichen Gegenden werden vernachlässigt«, meint Don Beshel. »Das ganze Geld fließt eben in andere Kanäle. Hier leben nicht genug Leute. Es gibt hier nicht genug Wählerstimmen, als dass wir interessant wären.«
    »Rassismus funktioniert auf beiden Seiten des Zaunes«, sagt der Kommunalpolitiker, der sich erst nach »Katrina« in ein öffentliches Amt hat wählen lassen. »Die Weißen sagen jetzt, dass die Schwarzen bei den Hilfslieferungen bevorzugt würden, damit bloß nie wieder das Gegenteil behauptet werden kann.« Er selbst habe dazu nicht wirklich eine Meinung. Aber er findet: Es sei zu einfach, alle Vorwürfe an der Türschwelle der Regierung und der Nationalgarde abzulegen. »Ich frage die Leute immer wieder, ob sie etwas verloren haben, was ihnen wirklich am Herzen lag. Ja, sagen die dann, und die meisten sagen: dieses Bild. Oder: dieses Fotoalbum. Warum hast du es denn nicht mitgenommen bei der Evakuierung, frage ich dann. Sie antworten, dass sie doch nicht erwartet haben, dass es so schlimm kommen würde. Und ich sage: Wenn ihr das nicht erwartet habt – wieso verlangt ihr, dass die offiziellen Stellen das Ausmaß der Katastrophe vorhersehen konnten?«
    Don Beshel sagt, er habe einfach etwas tun wollen nach »Katrina«. »Irgendetwas Nützliches.« Ob er weitermachen will, wenn nach drei Jahren seine Amtszeit abgelaufen ist, das weiß er noch nicht. Der Vorwurf des Rassismus macht ihn krank. Natürlich habe er schwarze Freunde, so betont er. Alle Fischer, mit denen ich vor seinem Kiosk gesprochen hätte, zählten dazu.
    Die Fischer sehen das anders. »Ich habe keinen einzigen weißen Freund«, sagt Allen Thomas, und die anderen am Tisch nicken zustimmend. Ein Phänomen, das ich auch von anderen Teilen der Welt kenne: Je höher die gesellschaftliche Stellung, desto größer das Selbstbewusstsein. Das drückt sich unter anderem darin aus, dass man keine Scheu davor hat, andere Leute als Freunde zu bezeichnen – ohne genau zu wissen, wie die das sehen.
    Übrigens hat keiner meiner Gesprächspartner hier eine Meinung zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen oder Lust, sich über irgendein anderes politisches Thema zu unterhalten als über den Wiederaufbau. Woran liegt das? Don Beshel denkt nach: »Vielleicht bin ich derzeit so beschäftigt damit, mein Leben und die unmittelbaren, dringenden Anforderungen des Alltags zu organisieren, dass ich darüber gar nicht hinausschauen kann.«
    Diese Anforderungen sind ja tatsächlich hoch genug. Wenn ein Land wie die USA in mehr als zwei Jahren die schlimmsten Folgen eines einzigen Wirbelsturms nicht beseitigen kann – wäre das nicht ein hinreichender Grund, die Warnungen vor einer drohenden Klimakatastrophe und ihren Folgen besonders ernst zu nehmen?
    Auch an der Küste des benachbarten Bundesstaates Mississippi sind die Zerstörungen bis heute nicht zu übersehen, die »Katrina« angerichtet hat. Schrott liegt allerdings nur noch selten an der Straße, die am Meer entlangführt. Aber stabile Gebäude stehen ebenfalls nur wenige hier, und die sehen fast alle aus, als seien sie in den letzten zwei Jahren neu erbaut worden. Sind sie wohl auch. Allein in der Stadt Biloxi wurden 90 Prozent aller Häuser zerstört.
    Ein häufiger Anblick: von Trümmern befreite, glatte Fundamente, neben denen noch zerborstene Schilder stehen. »Steak and Seafood – Steak und Meeresfrüchte«. Geknickte, umgestürzte Bäume. Immer wieder, überall. Insgesamt sind in Louisiana und Mississippi etwa 320 Millionen Bäume durch »Katrina« und durch den Hurrikan »Rita« zerstört worden, der wenige Wochen später übers Land fegte. Auch in ökologischer Hinsicht ein Desaster.
    Naturkatastrophen sind immer schrecklich – aber für Mississippi sind sie besonders verhängnisvoll. Dieser Staat ist das wirtschaftliche Schlusslicht der USA. Das jährliche Durchschnittseinkommen beträgt nur etwas mehr als die Hälfte dessen, was im reichen Connecticut verdient wird.
    Das war nicht immer so. Vor dem Bürgerkrieg gehörte die Region zu den reichsten in den Vereinigten
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