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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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Vereinigten Staaten näherten sich nicht auf der Mayflower der Neuen Welt. Was die Antwort auf die Frage nach den Ursprüngen der USA nicht vereinfacht.
    Jamestown, gelegen in Virginia, macht alles noch komplizierter. Hier entstand 1607 – unzweifelhaft – die erste dauerhafte englische Siedlung auf nordamerikanischem Boden. 13 Jahre bevor die Pilgerväter an Bord der Mayflower im heutigen Massachusetts ankamen. Reiche Kaufleute in London hatten dafür mehr als einhundert abenteuerlustige Männer angeheuert, weil sie auf schnelle Gewinne für ihre Handelsgesellschaft Virginia Company in der Neuen Welt hofften.
    Diese Gewinne ließen auf sich warten. Feindseligkeiten mit den Indianern, Hunger und Krankheiten kosteten in den ersten Jahren so viele Neuankömmlinge das Leben, dass die Siedlung beinahe aufgegeben worden wäre. Jamestown wäre heute längst vergessen ohne die Zähigkeit, den Unternehmergeist, die Tapferkeit und den Erfindungsreichtum der Pioniere – eigentlich samt und sonders Eigenschaften, die in den USA in besonderem Maße bewundert werden.
    Dennoch werden die ersten Bewohner von Jamestown – im Gegensatz zu den Passagieren der Mayflower – seit Jahrhunderten immer wie die etwas peinlichen Verwandten behandelt, die hinter den sieben Bergen lebten. Viele Kränze werden ihnen nicht geflochten. Warum eigentlich nicht? Frances Honich, Fremdenführerin im nachgebauten Fort des Freilichtmuseums von Jamestown, lächelt milde. Hierher seien die Leute mit dem erklärten Ziel gekommen, Profit zu machen. Die Poniere auf der Mayflower hätten hingegen religiöse Freiheit gesucht. »Das eignet sich besser zur Mythenbildung.« Eine wunderbar lakonische Beschreibung von Schönfärberei.
    Frances Honich, die selbst aus Neuengland stammt, sieht noch einen anderen Grund für die stiefmütterliche Behandlung von Jamestown. »Der Süden hat den Bürgerkrieg verloren, der Norden hat ihn gewonnen. Bis heute bestimmt diese Tatsache die Antwort auf die Frage, wer die Deutungshoheit über die Geschichte der Vereinigten Staaten hat.« Auch diese 69-Jährige arbeitet übrigens sehr gerne in »ihrem« Museum: »Die Besucher, die hierherkommen, beginnen, über sich selbst nachzudenken. Das gefällt mir. Sie überlegen, wie man eine Matratze nähen kann oder was es bedeutet, wenn man zweieinhalb Stunden braucht, um einen Backofen zu heizen. Oft sind sie danach von einem ganz neuen Gefühl der Dankbarkeit für ihre eigenen Lebensbedingungen erfüllt.«
    Dankbarkeit für die eigenen Lebensbedingungen. Ich glaube zu verstehen, was Frances Honich meint. Auch ich empfinde sie. Eine solche Dankbarkeit ist allerdings eng verknüpft mit der Sehnsucht nach Zuhause. Allmählich bekomme ich Heimweh. Noch einmal stelle ich gegen Ende dieser langen Reise fest, dass ein unauflöslicher Zusammenhang besteht zwischen den eigenen Gefühlen und der Möglichkeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ich beende meine Recherchen nicht vorzeitig. Aber in diesen letzten Tagen treibt mich vor allem Pflichtbewusstsein an und nicht mehr Neugier auf das Land. So kann ich zwar einige Eindrücke vertiefen, die ich in den vergangenen Monaten gesammelt habe, Neues jedoch lerne ich nicht mehr. Mein Kopf ist voll. Endgültig.
    In Virginia besuche ich noch das Landhaus von George Washington. Dieser erste Präsident der Vereinigten Staaten, der so hart für die Unabhängigkeit gekämpft hat, gestaltete sein privates Refugium wie ein englisches Herrenhaus – also nach dem Vorbild eines Teils der Welt, den er selbst nie besucht hat. Die bewundernde und zugleich verächtliche Hassliebe gegenüber Europa, die viele Amerikaner bis heute empfinden, hat früh angefangen.
    In Chesapeake Beach, Maryland, führe ich ein Gespräch mit einem baptistischen Jugendpfarrer und seiner Frau, das von Toleranz und Verständnis gegenüber Drogenabhängigen und kindlichen werdenden Müttern geprägt ist, mit denen beide oft zu tun haben. Ein versöhnlicher Abschluss der Begegnungen mit evangelikalen Christen, deren Lebenseinstellungen oft viel differenzierter sind, als ich das von Europa aus vermutet hätte – und die mir dennoch fremd bleiben. Aber vielleicht ist diese Fremdheit ehrlicher und realistischer als ein vermeintliches Einverständnis, das sich gelegentlich nur deshalb einstellt, weil wir gar nicht merken, dass wir verschiedene Sprachen sprechen.
    Wie gut glaube ich, »die Amerikaner« zu verstehen, nachdem ich drei Monate ihr Land bereist habe? Nach meiner Rückkehr werde ich
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