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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman
Autoren: Klaus Kordon
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hatte. Also würden sie bald alle auf der Kohl’schen Sonnenseite leben – jene, die sich das heftigst wünschten, jene, die es davor grauste, und jene, die von einem eigenen, ganz neuen DDR-Weg träumten.
    Das Wort vom Zusammenwachsen! Willy Brandt hatte es geprägt. »Nun wächst zusammen, was zusammengehört.« Aber ob das so einfach sein würde, wenn ausgeprägtes Ost-Selbstbewusstsein auf das nicht minder erhärtete des Westens traf? Was die verschiedenen Medien vierzig Jahre lang auf die Menschen hatten herabrieseln lassen, war doch nicht wirkungslos an ihnen abgeglitten.
    Wolf und Monika waren für ein rasches Zusammenwachsen, bezweifelten aber, dass das so reibungslos vonstattengehen würde. »Vierzig Jahre unterschiedliches Leben, Denken und Fühlen sind nicht so einfach auszuradieren. Es stehen sich ja zwei ganz verschiedene Weltbilder gegenüber, verschiedene Erziehungsideale und auch ein ganz anderes Sicherheitsbedürfnis.«
    Ihr Zorn aber galt vor allem den eigenen Leuten, denen mit dem ausgeprägtesten Ost-Selbstbewusstsein, in der Hauptsache den ehemaligen Staatsträgern der DDR, die händeringend den Verlust ihrer ganz speziellen Alt-DDR-Werte befürchteten.
    »Was sollen denn das für spezielle Werte gewesen sein?«, spottete Monika. »Was wollen die um jeden Preis der Welt retten? Etwa ihre verquaste Ideologie, die sie uns vierzig Jahre lang in die Köpfe hämmern wollten? Ihren ›Sozialismus‹, ein Wort, das längst zum Synonym für Misswirtschaft, Willkür, Spitzeltum und Rechtlosigkeit verkommen ist? Oder geht es ihnen etwa um ihre heiß geliebte, so verlogene und von ihnen selbst nicht gelebte ›sozialistische‹ Moral? – Bitte, bitte, gebt uns unser Feindbild zurück! Wir wollen weitermachen mit unseren diversen lächerlichen Ehrungen und Ordensvergaben. Ist ja so viel leichter, Papierurkunden und Blechorden herzustellen, als einigermaßen akzeptable Lebensbedingungen zu schaffen.«
    Der einzige Verlust, der wirklich beklagenswert wäre, so Monika, wäre der der Heimat. Aber das müsste im Falle einer Wiedervereinigung ja niemand befürchten. »Den Sachsen bleibt Sachsen, den Thüringern Thüringen, den Mecklenburgern Mecklenburg, und Berlin – mein Gott, wer hätte das noch vor ein paar Wochen zu hoffen gewagt! – wird endlich wieder Berlin.«
    Er, Lenz, hatte zu alldem nur nicken können. Monika, resolut wie immer, hatte ihm aus dem Herzen gesprochen. Blieb nur eine Frage – die nach der Aufarbeitung all der Verbrechen, die im Namen dieses Sozialismus begangen worden waren. Wer sich um die Früchte seiner Anpassung gebracht sah, würde der sich wohl seiner Vergangenheit stellen? Die meisten hatten es – bei allen Unterschieden – in den Vierziger- und Fünfzigerjahren nicht vermocht; würde man sich jetzt, in den Neunzigern, anders verhalten? Ja, würde die Wahrheit über die zurückliegenden Jahre überhaupt noch jemanden interessieren, wenn erst neue Tragödien den Alltag bestimmten? War nicht jede Legende, und war sie noch so einfach gestrickt, viel leichter zu ertragen als die unbequeme historische Wahrheit? Wer gestand sich schon gern ein, jahrzehntelang für eine falsche Politik gearbeitet und gelebt zu haben? Und tat er’s doch, hieß das noch lange nicht, dass er bereit war, das auch öffentlich zuzugeben, was ja Voraussetzung für eine wirkliche Aufarbeitung wäre.
    »Tust du’s, biste ’n Wendehals«, stellte Wolf nüchtern fest. »Verweigerst du dich jeder Einsicht, bist du ’n unverbesserlicher, sturer Betonsozialist. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Es sei denn«, er grinste, dass sein Schnurrbart sich vom Wohnzimmerschrank bis zum Fenster hinzog, »du machst es wie die Stalinisten in der SED, gründest dich einfach neu, nennst dich PDS und rechnest lauthals mit dem Stalinismus ab. So wird der Täter zum Richter und darf lustig weitermachen.«
    »Oder du machst es wie die Westdeutschen nach 45«, erwiderte Lenz im gleichen ironischen Tonfall, »flüchtest dich in die Arbeit und schaffst ein Wirtschaftswunder. Davon haben wenigstens alle was … «
    »Und wo bist du jetzt schon wieder mit deinen Gedanken?«
    Arme Hannah! Sie hatte gehofft, einen heiteren, von Freude erfüllten Heiligabend-Spaziergang zu machen, und nun führte ihr Manne die ganze Zeit über innere Monologe.
    Schuldbewusst legte er den Arm um sie und gestand ihr, was ihn bewegte. Die Freude, die sie ihm abverlangte, er empfinde sie ja, nur sei es irgendwie eine geteilte Freude. Dagegen könne
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