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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers
Autoren: Will Berthold
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Mitteln versuchen würde, diese Frau zu erobern.
    Die Vorstellung, sie könnte mit sich selbst kopulieren, steigerte Aglaia in eine Erregung, der sie sich wohlig überließ. Gewohnt, die Signale der Sinnlichkeit abzukürzen, wunderte sie sich, daß sie sich heute so lange lasziven Impressionen überließ.
    Sie hatte Sigmund Freud gelesen, sie brauchte keinen Psychoanalytiker, um zu wissen, daß sich die Sinnlichkeit um so mehr regt, als man sie unterdrückt.
    Aglaia kannte ihre Veranlagung, aber sie war wie ein Vulkan, der sein Feuer unter Kontrolle hielt. Sie galt als eine Frau, die zugleich verführerisch wirkt und nicht verführbar ist.
    Sie war keine Heuchlerin und wunderte sich gelegentlich selbst darüber, warum sie Erik, ihren Mann, so selten betrogen hatte. Moralische Skrupel kannte sie nicht, und zudem hätte sie wohl einige Berechtigung zur Untreue. Sie war durchaus bereit, sich die Freiheiten zu nehmen, die sie in natürlicher Toleranz ihrem Geschlecht zugestand. Sie hielt nichts von einer Moral, die sich an der Natur verging und die Frau auf das Niveau von Pfarrersköchinnen herabziehen wollte.
    Trotzdem kochte sie zumeist auf anderer Flamme.
    Aglaia drehte sich um, betrachtete ihren Körper, kurz und flüchtig bedauernd, kein Mann zu sein.
    Dann ging sie in das hauseigene Schwimmbad. Das hatte Aglaia schon vorgehabt, bevor ihr eine Abkühlung nötig erschienen war.
    Sie lebte, vorwiegend allein, in einer Villa in der Nähe Frankfurts, die, hatte man erst einmal ihre Sichtblenden überwunden, des Geldes ganzes Gepränge entfaltete. Aglaia genoß es dezent. Trotz ihrer kleinbürgerlichen Herkunft verstand sie es meisterlich, jede neureiche Attitüde zu meiden.
    Das Bad lag im Souterrain.
    Erst als es Aglaia betreten hatte, merkte sie, daß sie nicht allein sein würde. Sie hatte Sebastian vergessen, den Neffen, der in ihrem Haus aufwuchs, freilich nur in den Ferien. Sonst war er in einem schweizerischen Internat in besten, wenn auch fremden Händen.
    Gemessen an seiner Jugend war Aglaia eine Matrone, doch wäre es ihr albern erschienen, jetzt einen Rückzug anzutreten.
    »Tag, Sebastian«, sagte sie und übergab ihm ihren Bademantel.
    »Entschuldige«, erwiderte er, »ich wußte nicht, daß du jetzt …«
    »Na«, entgegnete Aglaia lächelnd, »ist das Becken nicht groß genug für zwei?«
    Es war ein überzeugendes Argument, aber es trieb den Jungen in eine Sackgasse der Verlegenheit. Aglaia verstand sich auf Stimmungen. Das Gespür dafür gab ihr Macht. Sie gestand sich selbst, daß die Machtfülle das eigentliche Futter ihres Ehrgeizes war, der sich auf alle menschlichen Bereiche erstreckte, von der wirtschaftlichen Omnipotenz über die kulturelle Präsenz bis in die sexuelle Intimsphäre.
    Sie bemerkte, daß Sebastian nicht wagte, sie voll anzusehen, und lächelte. Sie zog die Knie hoch, legte die Arme darüber, warf sich mit gekonnt natürlichem Schwung die Haare aus der Stirn. Sie spürte Sebastians Blick im Nacken; spürte, daß er sie abtastete, um dann, als sie sich wieder aufgerichtet hatte, an die Decke zu starren, als könne er durch den Blick in eine falsche Richtung die eigene Durchsichtigkeit verbergen.
    »Sei nett«, sagte sie, »und hol mir eine Zigarette.«
    Sie rauchte um diese Zeit nicht, aber es machte ihr Spaß, den Jungen aus seiner Erstarrung zu brechen.
    Er war siebzehn, untersetzt, nicht hübsch, nicht häßlich, geistig frühreif, und er laborierte offensichtlich noch an pubertären Schwierigkeiten. Es wäre an der Zeit, ihn aus seiner Internats-Kasuistik herauszureißen, aber Aglaia konnte sich schlecht als verführendes Objekt anbieten. Sebastian zuliebe würde sie auch nicht ein entsprechendes Dienstmädchen anstellen.
    Er gab ihr Feuer, berührte dabei ihre Hand und erschrak so, daß er ein zweites Streichholz benötigte.
    »Wo ist Erik?« fragte er.
    »Muß erst in seinen Terminkalender sehen«, antwortete Aglaia. »Gestern hat er mich aus New York angerufen. Heute wird er in Bonn erwartet, und morgen muß er, glaube ich, nach München weiterfliegen.«
    »Managerwahn«, erwiderte der Junge. »Kapitalistenschicksal.«
    Die Antwort erschien Aglaia typisch nicht nur für Sebastian, sondern für seine ganze Generation. In einem Alter, in dem sie früher Karl May lasen, konsumieren sie heute Karl Marx. Früher träumten sie bei ihren puerilen Masturbationen von der Partnerin der Tanzstunde, aber heute tanzen sie mit einem solchen Horror vor der körperlichen Berührung, als sei
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