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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers
Autoren: Will Berthold
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bereits weiß, daß ich wieder an der Kugel vorbeigeirrt bin.
    Außerdem möchte ich ohne jeden Blumenschmuck beerdigt werden, und – man gestatte mir den Jokus – anstelle der Kranzspenden sollen die Gelder auf das Konto der Trinkerfürsorge eingezahlt werden.
    Gleichzeitig möchte ich, daß anstelle einer Grabrede Louis Armstrongs ›New-Orleans-Function‹ geblasen wird und am Tage meiner Beisetzung meine Schwabinger Lieblings-Stampen alle Gäste freihalten.
    Es ist die würdige Totenfeier für den entarteten Sproß des Konzerns. Soll die Familie nunmehr ernten, was Aglaia gesät hat, Aglaia, meine Schwägerin, Eriks Frau. Vielleicht gelingt es ihr, diese Verfügungen umzustoßen oder zu verwässern. Ich muß annehmen, daß sie genügend Beweise gesammelt hat, die für meine mangelnde Zurechnungsfähigkeit sprechen.
    Und damit komme ich zu ihr, der großen Dame, der schönen Frau mit der latenten Sinnlichkeit, die jeden Gesprächspartner verwirrt. Ich sehe sie vor mir: hinter meinem Sarg, dem Platz der nächsten Angehörigen. Sie hat den Skandal erstickt, nimmt Abschied von mir im kleinen Kreis. Bei einer Frau ihres Formats ist ein kleiner Kreis noch immer groß.
    Vielleicht noch zwei oder drei Schluck. Die letzte Verfügung ist getroffen. Aber während ich trinke, schreibe ich noch. Wenn ich mitten im Satz abbrechen werde, habe ich endlich den Tod gefunden.
    Während ich das niederschreibe, überlege ich, ob sie mir nicht noch die Kränze, die sie mir winden läßt – nicht ohne der Trinkerfürsorge einen stattlichen Betrag zu überweisen – als Mühlsteine um den Hals legen könnte: Unsinn, ein Toter braucht keine Luft.
    Blumen sind der bunte Rahmen am offenen Grab, in das man mich hinabläßt.
    Ohne mich noch in eine sprachliche Polemik einzulassen: Aglaia weint in ein wetterfestes Make-up. Sie hat über mich gesiegt. Aber sie zeigt keinen Triumph darüber, daß ich mich ihr aus dem Weg räumte. Während die Totenglocke läutet und das Trauergefolge sich den Ernst in das Gesicht steckt wie an Karneval die Nase aus Pappmache, wird sein männlicher Teil verstohlen Aglaia mustern, überlegend, wie man diese Festung großbürgerlichen Wohlanstandes nehmen könnte – und wer sie bisher wohl schon geschleift haben könnte. Meine Schwägerin würde wohlgefällig ihre Blicke im Rücken spüren, in der Hüfte, am ganzen Körper, denn sie hat eine Witterung für männliche Gier.
    Schließlich hat sie sich, züchtig und gezielt, in die feinste Gesellschaft hineingevögelt.
    Prost, Aglaia, sage ich und greife zum nächsten Glas. Gäbe es eine Gerechtigkeit, müßte in diesem Glas das Zyankali enthalten sein.
    Zum erstenmal seit Beginn der Prozedur bin ich sicher, eine Fehlanzeige zu schlucken.
    Noch achtzehn kleine Gläserlein.
    Sosehr er mir bei Aglaia auch einmal stand, wegen ihr wird sich bei mir nichts mehr rühren. Ihr Körper macht meinen Unterleib tot wie einen ganzen Waldfriedhof.
    Die Toten sind steif.
    Steif sind auch die Hemdkragen.
    Wie das spanische Hofzeremoniell.
    Oder der Nacken einer Klosterfrau.
    Melissengeist. Gequirlte Scheiße. Zyankali-Cocktail.
    Aglaia – wer so heißt, muß so sein, und wer so ist, fickt so.
    Ach Luise – keine ist wie diese: dieser geile Fetzen, der das Hirn der Männer mit dem Vakuum zwischen ihren Oberschenkeln ausfüllt.
    Weia, Aglaia – und so macht dein Kitzler den Bumser noch zum Dichter.
    Leb wohl, Aglaia, du Frau mit den springenden Brüsten und den mobilen Oberschenkeln. Hohepriesterin keuscher Sinnlichkeit, in deren Bett du das Erdbeben erlebst und die Zentrifugalkraft an dir vollstreckt wird, während dir ihr Orgasmus wie eine Sirene ins Gesicht heult – du …
    Aglaia weiapopeia – weia Aglaia heitojotoho – Prost Fikalageila – A – gl – awiaia – – – awibtoskzwnd – 93 – lsichsielwiiospt …
    Aglaia stand vor dem Spiegel und betrachtete sich wie einen seltenen Falter unter der Lupe. Sie wußte, daß ihre Augen weit kritischer waren als die Blicke ihrer männlichen Umgebung. Sie hatte Grund, mit sich selbst zufrieden zu sein. Es würde noch fünf, sechs Jahre dauern, bis man ihr die sechsunddreißig Jahre ihres Lebens ansehen würde.
    Sie war groß, schlank und dunkelhaarig; mit den Jahren hatte sie sich noch verbessert. Sie war kein Narziß, sondern ihr schärfster Kritiker, und so durfte sie ihren Augen trauen.
    Sie lächelte sich zu. Sie war eine Frau, kein Mann; aber sie sagte sich, daß sie, wäre sie ein Mann, mit allen
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