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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Autoren: Alexander Unzicker
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Gebrauch verzichten“. Und man möchte hinzufügen: Jene, die sich doch im Verzicht üben, mögen dann auch auf den Gebrauch von Galileos Namen verzichten!
TROST IM GESPRÄCH
    Manchmal habe ich mir auch schon die Frage gestellt, ob ich die Theoretische Physik nicht zu hart kritisiere. Umso mehr freute es mich, dass die Ansicht, sie bestehe heute größtenteils aus irrelevanten Spekulationen, keineswegs nur von Außenseitern vertreten wird. Bei einer Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Bonn unterhielt ich mich in kleiner Runde mit einer erfahrenen Experimentatorin, die eine leitende Position an einem Max-Planck-Institut innehatte. „In Ihrem Institut wird ja auch ganz schön viel Unsinn publiziert“, flachste ich und war gespannt, wie sie auf die unsicheren Blicke der umstehenden Doktoranden reagieren würde. „Jaaa, wir haben auch eine Theorieabteilung“, antwortete sie trocken und fuhr fort, die Runde mit Anekdoten zu unterhalten, die meine Ansicht durchaus stützen konnten. Offenbar haben die Theorien der Superstrings oder der kosmischen Inflation nicht nur Freunde. Sie scheinen sogar denen auf die Nerven zu gehen, die mittelbar mit ihrer Verbreitung befasst sind.
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    Kerngesund scheint mir’s, der Kranke unter Euch zu sein. – Russisches Sprichwort
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    Beim Abendessen einer Festveranstaltung saß ich einmal zufällig neben dem langjährigen Chefredakteur eines bekannten Wissenschaftsjournals, einem habilitierten Astrophysiker. Er bemühte sich erst gar nicht, meiner Ansicht zu widersprechen, die Stringtheorie sei auf dem Weg zur Esoterik, und räumte ein, sie habe wissenschaftstheoretisch „ein ernsthaftes Problem“. Dennoch konnte man in seinem Magazin fast jeden Monat Artikel lesen, die etwa „Inflation auf der Bran“ als „Schlüsselexperiment der Stringtheorie“ anpriesen.
PHYSIKER, DIE ÜBERS WASSER GEHEN
    Den Autor eines solchen Artikels, Professor an der McMaster University in Kanada, hörte ich einmal live. Wie viele Stringtheoretiker trug er verständlich und witzig vor, allerdings zu 95 Prozent über wohlbekannte Physik, die dem Laien durchaus gefällt, ja einleuchtend erscheint. Nach einer kryptischen Überleitung und der Entschuldigung, nicht in technische Details gehen zu können, offenbarte er seine freudige Erwartung, dass im Large Hadron Collider am CERN möglicherweise bald Extradimensionen entdeckt würden. „That’s gravity in your face!“, rief er voller Enthusiasmus, blieb aber den Zuhörern die Erklärung schuldig, welche Beobachtung diesen Schluss nahelegen sollte. Fast alle verließen den Saal etwas frustriert. Ich habe das Gefühl, die Physik wird kaum wirkliche Fortschritte machen, wenn in solchen Situationen nicht jemand aufsteht und fragt, was das Theater eigentlich soll. Physik basiert nun mal auf Messen, und Stringtheorie erinnert mehr an Messen lesen – ein kleiner Unterschied. Bezeichnend ist zum Beispiel, dass die Stringtheorie in einem anerkannten Lehrbuch der Elementarteilchenphysik mit ganzen vier Zeilen erwähnt wird 1 – in den vergangenen dreißig Jahren wurde eben kein einziges Problem durch diese Gedankenspielchen auch nur ansatzweise gelöst.
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    Die Wiederholung von Unsinn wird viel eher toleriert als seine Entlarvung. – John Allen Paulos, amerikanischer Mathematiker
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    Dennoch bleibt öffentlicher Widerspruch selten, und selbst die erklärten Gegner der Stringtheorie scheinen sich mit ihr zu arrangieren. So hat etwa Lee Smolin, dessen Buch Die Zukunft der Physik an Kritik nichts zu wünschen übrig lässt, inzwischen einen furchtsam anmutenden Relativierungsbrief auf seine Homepage gestellt und forscht einträchtig mit einer Reihe von Stringtheoretikern am Perimeter-Institut, dem Aushängeschild der Theoretischen Physik in Kanada. Manche Physiker möchte man fragen, ob sie als Arzt in einer Klinik arbeiten würden, die auch Handleser und Geistheiler beschäftigt. Sicher ist nur, dass die Physik – sie ist der Patient – nicht gefragt wird. Smolins eigenes Fachgebiet, die Loop quantum gravity oder „Schleifenquantengravitation“, ist übrigens ebenso abgehoben wie die Stringtheorie, und ihre Vorhersagen sind reine Feigenblätter jenseits aller experimentellen Überprüfbarkeit. [2] Insofern war das oft in Szene gesetzte Duell zwischen Strings und Loops immer schon uninteressant – wissenschaftlich sind beide nicht satisfaktionsfähig. Daher tendiert man in den deutschen Filialen der transatlantischen Trendsetter
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