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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Autoren: Alexander Unzicker
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neuerdings wieder zum Konsens: Die Schleifenquantengravitation wird von Stringtheoretikern als „ernst zu nehmende Konkurrentin“ gewürdigt, 2 während sich Vertreter der Loops mit der Idee anbiedern, die Ansätze müssten vielleicht eines Tages vereint werden. 3 Gegenseitige Gastaufenthalte an den Hohepriester-Instituten in den USA begründen dabei wissenschaftliche Laufbahnen, deren Sahnehäubchen darin bestehen, von einem Nobelpreisträger öffentlich beim Vornamen gerufen zu werden. Mit den Problemen aber, die Einstein, Schrödinger und Dirac bewegten, haben Stringtheorie und Loop quantum gravity nicht das Geringste zu tun.
OHNE AUSMISTEN KEIN NEUBEGINN
    Leider sind jedoch die Grenzen zwischen den fantasierten Parallelwelten der Stringtheorie und dem, was als Grundlagenforschung anerkannt ist, fließend geworden. So konnte man bald nach der Inbetriebnahme des Large Hadron Collider am CERN in der Presse lesen, dieser habe „den Urknall simuliert“. Eigentlich müsste man bekennen, dass solche Schaumschlägerei der Wissenschaft unwürdig ist. Der Mut dazu gedeiht aber nicht in Forschungseinrichtungen, deren Existenz von öffentlichen Geldern abhängt. Und diese fließen eben dank mediengerechter Übertreibungen. 2001 kam in einem Hamburger Büro der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein prominenter Teilchenphysiker ins Stottern, als ihn der Gutachter nach dem Zweck eines neuen Beschleunigers ein bisschen genauer befragte. Zehn Jahre später war er Chef des CERN. Man hat inzwischen gelernt.
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    Der Mut ist’s, der den Ritter ehret. – Friedrich Schiller
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    Aber auch Forscher, die über die „Urknallsimulation“ schmunzeln, übersehen gerne, dass dieser Werbespruch ein grundlegendes Problem der Teilchenphysik offenbart: Mit nüchternen Worten sind ihre Resultate nicht mehr vermittelbar. Diese Unübersichtlichkeit der Grundlagenforschung muss uns zu denken geben. Beunruhigend ist, dass nur ganz wenige Fachleute mit den elementaren Beobachtungen vertraut sind und kaum jemand die Ergebnisse eines Gebietes aus unmittelbarer Kenntnis zusammenfassen kann. Der Einwand, die Spezialisierung sei alternativlos, liegt den Realwissenschaftlern auf der Zunge, aber für die fundamentale Physik will mir dies nicht einleuchten. Gefährlich ist vor allem, dass die Autoritäten wechselseitig ihre Ergebnisse akzeptieren und weitertragen, ohne sie selbst prüfen zu können. Ein kleines Beispiel: In letzter Zeit bekomme ich oft Vortragseinladungen von kirchlichen Institutionen, die die Ohren spitzen, wenn sie „Wissenschaftskritik“ hören. So geriet ich in ein interdisziplinäres Seminar von Physikern und Theologen. In der anschließenden Diskussion ereiferte sich ein bekannter Astrophysiker, das Standardmodell der Elementarteilchen werde im Moment am CERN mit einer Präzision getestet, „dass man in die Knie gehen kann“. [3] Woher, bitte schön, kann er das nach einer touristischen Führung durch das Gelände wissen? Dass er als Astrophysiker nicht alle Versuche durchblickt, kann man ihm nicht vorwerfen, aber er hätte sich daran erinnern sollen, dass sich seine eigene Zunft durch kollektive Meinung schon einmal in ein präzises, aber sehr kompliziertes geozentrisches Planetenmodell verrannt hatte.
    Und so ist es wohl auch heute das eigentliche Gebrechen der Physik, dass das Gebäude aus ehemals einfachen Naturgesetzen durch zahlreiche Zusätze sehr unübersichtlich geworden ist. Forscher sind Menschen. Ein neuer Anbau im Konsens erfolgt daher viel leichter als der Abriss eines etablierten Konzepts, das schon ‚Bewohner‘ hat. Bei dieser Aussage mahnte mich ein intelligenter Korrekturleser eines späteren Abschnitts, dass Kritik stets konstruktiv sein müsse. Die Standardmodelle der Physik leiden aber buchstäblich darunter, dass schon viel zu viel konstruiert wurde, und sie verstellen so den Blick auf Ideen, die vielleicht zu einem neuen, gesunden Fundament der Physik werden könnten.
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    Ob es besser wird, wenn es anders wird, weiß ich nicht. Dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll, ist gewiss. – Georg Christoph Lichtenberg, deutscher Physiker und Aphoristiker

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KRÄFTE SO BÜNDELN, DASS NIEMAND MEHR QUER DENKT
    Aber können alternative Ideen in der Physik überhaupt noch auftauchen? Ermöglicht die heutige Situation noch überraschende Durchbrüche? Wie organisiert man am besten Forschung zu den wichtigsten Fragen der Natur? Ähnlich wie die Wirtschaft sucht die Physik ihr Heil in großen
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