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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Autoren: Alexander Unzicker
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Ich denke mal nicht ganz ernsthaft weiter: Vielversprechende Theorien – oft hört man diese Vokabel – könnten dann in Experimente investieren, um die Richtigkeit ihrer Weltformel zu beweisen. Obwohl sonst nicht ausgesprochener Freund neoliberaler Mechanismen, wäre ich hier wirklich neugierig, welchen Erfolg die Stringtheorie, die Loop quantum gravity oder die Supersymmetrie auf dem Finanzmarkt hätten. Ob wirklich jemand frisches Kapital in ein Paralleluniversum stecken würde? Die Selbstverständlichkeit, mit der manche theoretische Spekulation verkauft wird, führte schon Immanuel Kant zu einer verwandten Überlegung:
    „Manch einer spricht seine Ansicht mit so zuversichtlichem und unlenkbarem Trotze aus, daß er die Besorgnis des Irrthums gänzlich abgelegt zu haben scheint. Eine Wette macht ihn stutzig.“
    In der Kritik der reinen Vernunft begründet Kant, warum die Wette „der Probirstein der echten Überzeugung“ ist. Unter Wissenschaftlern von heute ist es damit nicht so weit her. Im Oktober 2010 fragte ich David Gross – er hatte einige Jahre zuvor den Nobelpreis erhalten – nach einem Vortrag, zu welcher Quote er denn auf die Entdeckung eines supersymmetrischen Teilchens wetten und wie viel er einsetzen würde. „Fifty-fifty“ bis zum Jahr 2015, meinte er, am liebsten allerdings nur um ein Abendessen. [4] Immerhin gestand er ein, dass die Supersymmetrie ein Problem habe, wenn nichts entdeckt wird: „Then we’re in deep trouble.“ Aber sicher würden sich dann Theoretiker finden, die diesen „trouble“ wieder relativieren. [5] Einem von ihnen, dem ich auf einer Tagung in Bonn ebenfalls eine Wette vorschlug, fiel dazu nur ein: „Kant is dead.“ Betrachtet man die rund fünfzigtausend Veröffentlichungen zur Supersymmetrie ohne auch nur den geringsten experimentellen Hinweis, keimt aber ein Verdacht auf: Neben Kant ist vielleicht auch die Vernunft schon länger tot.
PUBLIZIEREN, BIS DER ARZT KOMMT
    Von solchen Reflexionen unbehelligt, wächst die Anzahl der Publikationen zu diesen theoretischen Fantasien weiter: Seit drei Jahren wird Physical Review D in zwei Bänden herausgegeben, aber Klartext wie in den Ausgaben um 1930 finden Sie dort in keiner Zeile mehr. Es ist mir unverständlich, dass die Absurdität dieser Situation nicht ins Bewusstsein dringt.
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    Oft ist das Denken schwer, indes das Schreiben geht auch ohne es. – Wilhelm Busch
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    Angesichts dessen, dass elementare Fragen der Physik seit Jahrzehnten ungelöst sind, bleibt gar keine andere Schlussfolgerung, als dass 99 Prozent des Inhalts von Physical Review D irrelevant sein müssen – oder in der Sprache der Finanzwelt: Schrott. Und beinahe zu 100 Prozent sortenrein ist die Kategorie „theoretische Hochenergiephysik“ hep-th der dominierenden Internetplattform ArXiv , bei der von Stringtheoretikern entschieden wird, was veröffentlicht werden darf. Aber es gibt keine Nadel, die an beiden Enden spitz wäre, sagt ein japanisches Sprichwort: Man verschwendet auch keine Zeit, wenn man hep-th komplett entsorgt. Schauen Sie sich einmal mit wachen Sinnen eine Kostprobe des abgehobenen Zeugs an, das dort jeden Tag erscheint, 4 und klappen Sie dann die Bücher über Strings, Brane, Paralleluniversen und chaotische Inflationen endgültig zu. Statt einem breiten Holzweg zu folgen, sind Sie herzlich zu einem anarchischen Streifzug durch die Physik eingeladen. Denn vieles, was unter dem Namen Physik verkauft wird, hat nichts mehr mit ihr zu tun und daher in diesem Buch auch nichts zu suchen. Es gibt wirklich viel Spannenderes. Sie werden sehen.

WARUM UNTERSUCHUNGEN NICHT GENUG SIND: NACHDENKEN ÜBER EINFACHES
    Kinder fragen gerne „Warum?“. Der Trieb, das Dahinterliegende zu erfahren, hat uns letztlich zu dem Abenteuer Physik geführt. In der Folge ist die Wissenschaft zum Beispiel zu der Erkenntnis gekommen, dass es vier Naturkräfte gibt. Die Bausteine der Atomkerne, Protonen und Neutronen, bestehen ihrerseits aus Unterteilchen, Gluonen und Quarks. Von Letzteren hat man inzwischen sechs Arten, sogenannte ‚Geschmacksrichtungen‘, entdeckt, wobei jede sich in drei ‚Farben‘ unterteilt. Neben diesen schweren Teilchen gibt es zwei weitere Gruppen von Elementarteilchen, nämlich Mittelgewichte und eine leichte Sorte, zu denen Elektronen, Myonen, Tauonen und drei dazugehörige Arten von sogenannten Neutrinos gehören, möglicherweise auch mehr. Alle diese Teilchen besitzen nicht nur Masse und elektrische Ladung, sondern auch
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