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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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fallen meiner Astschere zum Opfer. Ich gable sie auf und mach einen Haufen unter einem Latschenbusch. Droben am Aiplspitz-Grat gibt’s noch einen Acker. Es ist noch früh, und die Astschere kann ich auch noch halten. Also stapf ich rauf und zwick weiter, im Gipfelwind.
    Ein paar Koima flacken träge am obersten Rand der Wiese. Mit einer Arschbacke schon zur Geißbauern-Alm runter. Ich schau einfach nicht hin, dann mach ich mir keine Sorgen, dann passiert auch nichts. Das ist ein Almgesetz. Hoffe ich zumindest.
    Was soll auch passieren beim Daliegen und Wiederkäuen. So sonnendösig sind sie und so vollgefressen, dass sie nicht einmal mehr die Nika interessant finden. »Wua??« Nika kann’s gar nicht fassen. Der Billy dagegen ist froh, ignoriert zu werden, und verzieht sich unter einen Baum.
    Ich verwandle mich in ein Fließband. Disteln zwicken, Blätschen ausreißen, Haufen machen. Und die ganzen Fichtenkoppen müssen sowieso längst weg, sonst wächst da heroben bald ein Wald.
    Zwei Stunden später hör ich auf. Gerade noch rechtzeitig bevor ich aus der Grat-Wiesn einen gepflegten Vorstadtgarten mache.
    Ich gable den letzten Distelhaufen in die Latschen. Fertig.
    Meine müden Knochen plumpsen ins warme Gras. Die Sonne brennt auf meiner Haut. Ich schau zur Rotwand rüber. Schau mir ihr Leuchten an. Manchmal ist es durchsichtig gelb, manchmal golden, manchmal gleißend weiß. Es ist fast wie in die Sonne schauen. Das hat nicht jeder Berg so. Ich glaube schon, dass sie alle leuchten. Aber nicht alle gleich. Die Aiplspitz hinter mir hat ein ganz anderes Leuchten. Leiser und tiefer. Eher Lila. Ob ich mir das einbilde?
    Und wenn ich’s mir einbilde, denke ich flüchtig. Schön is.
    Und mein nächster Gedanke fliegt vorbei, streift mich, nur mit einem Hauch seiner Schwungfeder, und ist verschwunden, noch bevor ich ihn denken kann.

    Ich geh ohne Stecka. Die steile Wiese runter lauf ich freihändig. Vielleicht ist das das Schönste an der Alm. Freihändig über die steile, kurz abgegraste Wiese laufen. Sie federt unter jedem meiner Schritte. Immer leichter gehe ich, immer schneller mit jedem Schritt, und irgendwann laufe und springe ich, ohne drauf zu achten, wo ich auftrete. Alles geht wie von allein. Beine, Schritte, Schuhe, Steine, Weg, Wiese, Bach, drüberhüpfen. Die Bergluft weht wie ein leiser Wind auf meiner Haut. Frei sein. Da sein. Sonne atmen. Staunen, wie blau der Himmel ist, und mich fragen, ob das überhaupt noch eine Farbe ist oder schon was anderes. Dabei, ganz unverhofft, durch die Erinnerung an einen lang vergessenen Kuss laufen. Drüber lachen. Das Leben bis in die letzte Haarspitze an meinen Wadeln spüren. Die Zeit komplett vergessen haben.
    Vielleicht bin ich nur dafür hier. Auf meiner Alm. Oder nur dafür auf die Welt gekommen. Über Almwiesen laufen.
    Übermorgen
Die Zeit fliegt. Seit ich aufgehört habe, mich dagegen zu wehren, bin ich drei Kilo leichter. Übermorgen fahr ich heim.
    Der Wind weht ein gelbes Ahornblatt auf die Terrasse. Still trag ich’s in die Hütte. »Schau«, sag ich ganz leise zu Billy, »schon gelb.«
    Er schnuppert kurz dran, pflichtbewusst wie er ist. »Kannst du nicht mal was Sinnvolles mit nach Hause bringen?«
    Wenn der Ahorn schon bald gelb wird …
    Ich heiz den Ofen noch mal ein und koche Kaffee.
    Ich sollte meine Hütte zusammenräumen. Und ausfegen, wie mein Opa immer gesagt hat.
    Aber das würd sich so sehr nach Abschied anfühlen. Noch kein Abschied, nicht jetzt.
    Das Leben ist zu schade für lange Abschiede.
    Ein letztes Mal pack ich meine Astschere und die Heugabel und steig den Berg hinauf. Meine Arme sind bronzebraun, am Bauch und am Rücken hab ich einen Sonnenbrand, weil ich ohne T-Shirt unterwegs war und ohne Hut oder Kopftuch. Und glücklich bin ich. Die Sonne strahlt bis unter meine Haut und in mich hinein. Ich bin ganz sonnenwarm innen drin. »Wir sind aus Sonnenlicht gemacht, wisst ihr das?«, frag ich meine Hunde. Billy studiert den Aiplspitz-Grat. Irgendwo stehen da ein paar Gamsen. Die riecht er. Oder fühlt er, denn manchmal glaub ich nicht, dass er das alles riechen kann. Die Nika dagegen studiert einen Schmetterling. Ich werfe einen Grashalm nach ihr. Sie fängt ihn auf, widmet sich von da an dem Grashalm und zerkaut ihn voller Hingabe . Nikas Leben ist perfekt. So, wie es ist. Jeden Augenblick, immer. Sie lebt voll und ganz. Sie lebt Wiese und Sonnenschein und Schmetterling und Grashalm. »Hey, Nika«, sage ich leise. Sie schluckt den
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