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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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man die Händ’ voll alter Hadern hat.« Sie klopft mir auf die Finger. »Loslassen.«
    »Ja.«
    »In einen Stein blasen und von der Aiplspitz runterwerfen.«
    »Hab ich schon gemacht.«
    »Dann halt noch mal. Und dieses Mal meinst’ es auch.«
    »Dann fällt er jemandem auf den Kopf.«
    »Dann nimmst’ eine Feder.«
    Ich zucke mit den Schultern. Ich sage nicht, dass ich eine Feder habe, die ich dafür auf keinen Fall hernehmen werde.
    »Nimmst gleich deine Adlerfeder.«
    »Nein!«
    »Je mehr dir die Feder wert ist, desto besser. Sonst weißt du nie, ob’s dir wirklich ernst ist. Alles unter der Adlerfeder ist Kasperletheater.«
    Sie hat recht.
    Was hilft es, jahrelang zu sagen: La, la, la, ich hab ihn längst schon losgelassen, wie schön das freie Leben ist. Wenn’s gar nicht stimmt. Wenn ich heimlich sage: La la la, er kommt zurück.
    Kaas!
    Ein völliger Kaas ist das. In hundert Jahren kommt er nicht zurück. Und würd’ ich das wollen? Nein.
    Und das ist die Wahrheit.
    »Wir sollten noch einen trinken«, meint Fiona.
    Ich nicke und halt ihr meinen leeren Humpen hin. Obwohl mein schwirrender Kopf sagt: Spinnst du?!
    »Ich mach das«, sagt Fiona und patscht barfuß in die Hütte. Ihre Füße sind’s nicht gewohnt, so weich zu sein. Der Boden ist ihr zu hart. Sie sucht meine Gummipantoffeln.
    »Die hat die Nika gefressen, sorry. Musst die Filzdinger anziehen.«
    »Nikaaaa! Du sollst keinen Gummi fressen.«
    »Ach. Wer Seife frisst ...«
    »Und Käse.«
    Wie eine Sprungfeder schießt Nika unter dem Tisch heraus. Kääää-seee!!?? Sie kennt dieses Wort! Man sollte vermeiden, es zu sagen. Jetzt macht sie wieder zwei Stunden Käseterror.
    »Dann gib ihr halt ’n Stück«, meint Fiona. Sie ist immer so praktisch .
    »Das wär inkonsequent.«
    Fiona würde eigentlich »Ach, Quatsch« sagen. Aber da knallt ihr der Proseccokorken an die Decke. Ich reiche ihr meinen leeren Humpen.
    »Hey, magst’ jetzt ’n Zwetschgendatschi oder nicht?«
    Schlagartig sind weit und breit keine Wolken mehr auch nicht um den Guffert und um keinen Penny-Parkplatz.

Heimgehen
    Montag
Ich pack die dicken Lederhandschuhe und die Astschere in den Rucksack, stopf ein T-Shirt dazu, nur für den Fall, bind meine Bergschuhe, und dann geh ich im Bikinitop durch die flimmernde Luft auf meiner Terrasse. Grillhitze mit einem kühlen Wind drüber. Ich hol die Heugabel aus dem Stall und geh rauf Richtung Hochlatsch. Unsere Viecher liegen alle in der Sumpfwiese beim Wiederkäuen. Die Glocken gehen ganz leise, wie Pusteblumen, von einem vergessenen Wind davongeweht. Ich zähl meine Viecher noch mal durch, wenn ich schon da bin. 45. Komplett. »Geht’s euch gut, Mädel?«, frage ich sie.
    Bimm-bimm-bimm.
    Selma sonnt ihren walrossgroßen Körper. Schläfrig schaut sie mich an. Ich lächle. Es wird ein langer, gründlicher Blick. Einer, der durch die Haut und ins Mark geht, und das Unsichtbare an mir sieht. Es irritiert mich, wenn sie so schaut. Sie macht das nicht immer, aber wenn sie’s macht, hört sie nicht auf damit.
    »Selma, was gibt’s?«
    Bimm-bimm-bimm! Zum hundertsten Mal wünsche ich mir, ich könnte das, was sie sagt, in Worten verstehen.
    Bimm. Bimm.
    »Selma, ich versteh dich nicht. Vergiss es.« Aber wahrscheinlich höre ich sie trotzdem.
    Wird schon noch, grinst sie. Du musst du selbst sein.
    »Ach, du mit deiner Selbstfindung!«, brumme ich, schwinge die Heugabel auf meine Schulter und stapfe bergauf.
    Droben um den Brunnen rum wächst ein Distelacker, der muss weg, bevor die Samen ausfliegen und nächstes Jahr drei neue Disteläcker gründen und dann irgendwann gar kein Gras mehr wächst. So. Das ist simpel. Das begreife ich. Das kann ich machen. Und alles andere – wird warten können, bis es so weit ist.
    Der Distelacker ist ein kleines Paradies. Wunderschöne violette, bauchnabelhohe Majestäten. Solche Disteln gibt’s im Tal gar nicht mehr. Ich glaube, die Menschen haben sie schon vergessen. Überhaupt vergessen wir viele Dinge. Irgendwann sind sie einfach nicht mehr da, lautlos verschwunden, niemand spricht drüber. Die, die sich noch dran erinnern, müssen in Fernsehdokumentationen davon erzählen, und schon gehen wir an monoton grünbraunen Feldern entlang, auf schnurgeraden Mineralbetonwegen und nennen das »draußen in der Natur«. Wiesen, in denen nichts piekst, nichts brennt und nichts blüht. Keine Brennnesseln mehr, keine Disteln. Niemand vermisst sie.
    Ein paar lass ich stehen, wegen ihrer Schönheit. Die anderen
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