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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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Grashalm runter, bevor sie mich anschaut. Ich lächle sie an.
    »Wua?«
    Glück ist etwas Leises, etwas Weites. Fast wie gar nichts. Man übersieht’s leicht. Es ist wie einen lauten, vollgestopften Raum verlassen und sich auf eine stille Wiese setzen. Einen Schmetterling vorbeifliegen sehen und das Geräusch seiner Flügel erahnen. Lächeln, weil ein Käfer kopfüber in der prallblühenden Distel steckt und keiner weiß, ob er da je wieder rauskommt. Was für ein süßes Leben er hat.
    Am Abend pack ich die Isomatte und den dünnen Schlafsack und übernachte auf der »Insel« am Aiplspitz-Grat. Ich hab ein Bier dabei und seh die Sonne hinter der Zugspitz untergehen. So lange, wie man sie im Tal nie untergehen sieht.
    Der Wind kommt über den Gipfel. Bläst mir die Haare aus dem Gesicht und Nika das Fell nach vorne.
    Ich höre ihm zu, einen Augenblick.
    Und dann werf ich die Adlerfeder in den Himmel. Ich sehe, wie sie wegfliegt.
    Morgen
Draußen biegt sich die kleine Esche. Es stürmt. Sie steht an einem der großen Felsen, die am Nachmittag, wenn das Sommerlicht langsamer wird, rot zu glühen beginnen. Jetzt sind sie dunkelgrau. Es wird Schnee geben. Hinter der dünnen Fensterscheibe schauen die Fichten ganz schwarz zur Hütte her, und der Miesing steht wolkenumhangen im Südosten. Das war’s mit dem Sommer. Es gibt jedes Jahr diesen Tag. Den Tag, an dem der Sommer aufhört. Das ist nicht der Tag, an dem’s das erste Mal bis zur Hütte runter schneit. Das kann im Juli auch passieren. Dieses Jahr im Juli hat das Thermometer vor meinem Küchenfenster sicher zwanzigmal unter 5°C angezeigt. Nein, Schnee und Kälte sind kein Kriterium dafür, ob Sommer ist oder nicht. Es ist das Licht. Wenn im Himmel eine andere Glühbirne reingeschraubt wird. Es ist nie das gleiche Datum. Er geht überraschend. Wie ein Reisender im Aufbruch. Wir können ihm noch ein paar Minuten abringen. Ihm noch mal die Hand geben, ihn noch ein paarmal umarmen, ihn anschauen. Damit wir uns erinnern können, wie schön er ist und wie schön es war mit ihm. Und dann geht er. An die Tür, durch die wir ihm nachschauen, hängen wir dann, ein paar Wochen später, die Winterjacken.
    Dreißigmal hab ich das schon erlebt, und jedes Jahr will ich’s wieder nicht glauben, dass es tatsächlich passiert. Dasses jetzt tatsächlich vorbei ist. Der Sommer geht, wie ein Liebhaber, der nicht bleiben kann, selbst, wenn er wollte.
    Ich hol zum letzten Mal meine Kälber in den Stall. ’s Wuzerl stakst daher, langsamer als alle anderen, streckt ihren kleinen Kopf mit den viel zu großen Ohren nach vorne und sagt: »Möööööh.«
    Ich zerfließe wie Vanilleeis um einen Apfelstrudel. Meine Kaiben ...
    Eigentlich wollt ich rübergehen zum alten Schamanenplatz auf der Waldlichtung. Ein paar Kräuter anzünden, ein bisschen Rauch in die vier Himmelsrichtungen blasen, Mutter Erde und Vater Sonne danken und mal wieder eine Antwort finden.
    Auf die Frage, wie’s weitergeht.
    Aber ich geh nicht. Ich bleib im Futtertrog hocken, neben meinem Wuzerl, bis es dunkel wird.
    »Ihr werd’s ma abgeh.« Traurig bin ich. Gleichzeitig glücklich. Vielleicht gibt’s das eine ohne das andere gar nicht.
    »Es ist beschissen, wenn man jemanden lieb hat, und gehen muss. Aber solche Zeiten gibt’s. Ich glaub, es ist gut, auf der Reise zu sein. Sonst hätten wir uns ja gar nicht getroffen. Danke für die schöne Zeit.«
    »Möööh.«
    Heute
Es schneit.
    Nicht bloß a bissl. Der Risserkopf-Kessel ist weiß. In der Mitte ist ein Schneebrett abgerutscht.
    Wir haben den 29. August.
    Ich miste den Stall aus und lass die Kälber drin. Raus wollen sie eh nicht. Kalt, nass, weiß. Brrrrrr. Lieber duftendes sonniges Heu fressen.
    Ist mir auch lieber. Im Stall passiert ihnen nichts.
    Und dann, zum krönenden Abschluss meines Sommers, latsche ich drei Stunden durch Graupel, Wind und Schnee, bis ich alle meine Viecher beieinander habe. Einzeln unter den Bäumen. Und die Kleinen ganz drunten beim Bach, da wo sie noch nie waren, den ganzen Sommer nicht. Gut geht’s ihnen, kein Kratzer, alle da, sehr gut, und Pfiad’ euch.
    Heute ist kein Tag für Sentimentalitäten. Es hilft alles nix, ich muss diese Hütte putzen und mein Zeug ins Auto stopfen. Müll, Altglas, Dreckwäsche, Bettdecke, Kissen, Klamotten, Schuhe, Mokkamaschine, eine Bananenschachtel voll Haferflocken und Nudeln, die kein Mensch gegessen hat. Eine Ikeatasche voller Käääää-seeeee. Hundefutter, Hundedecken, Hunde.
    Drei
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