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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde
Autoren: Robert Tibber
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wie es auch sein sollte -, aber unglücklicherweise war auch Robin Lucy verfallen, was - und das wußte Robin genau - nicht sein durfte. Abgesehen davon, daß sie eine verheiratete Frau war, war sie seine Patientin, und eine Entdeckung des Verhältnisses der beiden hätte für Robin das Ende seiner Laufbahn bedeutet.
    Der Polizist, mit dem ich zu den Gunners ging, war sehr sanft mit Lucy. Danach sprach ich allein mit ihr in der Bibliothek ihres prächtigen Hauses.
    »Ja, ich wußte es«, sagte sie, »natürlich wußte ich es. Wann weiß eine Frau nicht, wenn ein Mann sie liebt?«
    »Lucy, Patienten verlieben sich meist in ihren Psychiater und bilden sich ein, daß die Liebe erwidert wird. Es ist doch absurd, sich vorzustellen, daß derselbe Arzt auch Mrs. Brown liebt, die er um zwei Uhr behandelt, und Mrs. Jones, die er um drei Uhr untersucht, und Mrs. Black, seine Patientin um vier. Es ist nur eine Art Schwebezustand, wissen Sie, damit Sie ganz gelöst mit ihm sprechen können.«
    Lucy zündete sich eine Zigarette an. »Ich glaube nicht, daß Sie das richtig sehen. Robin und ich verbrachten die letzte Ferienwoche gemeinsam auf dem Lande. Wir wußten, daß es eine hoffnungslose Situation war. Ich hätte Harry um nichts auf der Welt verlassen, und außerdem war ich Robins Patientin. Wir verlebten eine vollkommene Woche. Es regnete jeden Tag. Ich liebte ihn bis zum Wahnsinn, wir gehörten völlig einander.«
    »Das freilich ahnte ich nicht.«
    »Das sollten Sie auch nicht. Harry darf es natürlich auch keinesfalls erfahren.«
    Wie hätte ich ihr, die so liebreizend in dem weißen Sessel saß, vorwerfen sollen, daß ihre Zustimmung, mit Robin zu verreisen, sein Todesurteil gewesen war?
    »Ich werde Ihnen einen anderen Arzt besorgen«, sagte ich, »damit Ihre Behandlung fortgesetzt wird.«
    Sie drückte die Zigarette aus, Tränen rollten in den Aschenbecher. »Machen Sie sich, bitte, keine Mühe. Harry und ich werden nach Acapulco fahren. Ich sagte ihm, daß ich mir das schon immer gewünscht habe.« Sie fing an zu lachen, hysterisch und noch stärker weinend. »Das Komische daran ist«, sagte sie schließlich, »daß ich Mexico nicht ausstehen kann.«
    Gedanken durchschossen meinen Kopf: Weine nicht, du wirst ihn bald vergessen, du hast genug, um glücklich sein zu können. Es war alles zu banal — ich ging zur Tür. »Wenn ich etwas für Sie tun kann«, sagte ich, »jederzeit gern. Bitte, rufen Sie mich nur an.«
    Den Rest dieser Nacht lagen Sylvia und ich wortlos beieinander, ab und zu sprachen wir von unserer Trauer um Robin und bedauerten ihn für das, was er in den letzten Monaten durchgemacht haben mußte. »Er hat sich niemals verraten«, sagte ich, »nicht mit dem geringsten Anzeichen.«
    »Und das Schrecklichste«, sagte Sylvia, »ist, daß ich ganz sicher bin, sie wären ein glückliches Paar geworden... «
    Die Sommertage wurden kürzer, die Sprechstunde jedoch war überfüllt wie gewöhnlich, und für die Kinder begannen die Ferien. Ohne Robin war es mir unmöglich, an einen Sommerurlaub zu denken. Außerdem war uns beiden die Lust vergangen. Miss Nisbet wurde immer stärker und apathischer; die Schreibarbeiten türmten sich zu Stößen, und die Patienten litten unter meiner Langsamkeit. Ganz plötzlich war der Sommer in den Herbst übergegangen, und mit den ersten fallenden Blättern fiel auch meine Apathie von mir ab, in der ich die letzten Monate verbracht hatte.
    Eines Abends nach dem Essen sagte ich zu Sylvia: »Ich habe nach einem neuen Partner und einer Sprechstundenhilfe inseriert. Wir werden uns damit abfinden müssen, daß Miss Nisbet endgültig geht. Sie kommt kaum noch in ihr kleines Büro hinein, die Arme.«
    Nach einigen erfolglosen Inseraten und Interviews entschloß ich mich für Dr. Fouracre und Miss Simms, von denen ich wohl keine romantischen Verwicklungen zu erwarten hatte, obgleich Sylvia dunkle Andeutungen dahingehend machte, daß nachts alle Katzen grau seien... Miss Simms war grau, um mit ihr zu beginnen. Sie war zeitlebens medizinische Assistentin gewesen, empfand nun aber die lange tägliche Fahrt ins Stadtzentrum als viel zu beschwerlich. Am ersten Morgen, als sie das Chaos auf Miss Nisbets Arbeitsplatz entdeckt hatte, wäre sie beinahe wieder gegangen. Ich nahm einige Briefe zur Hand und sagte beruhigend: »Oh, das ist nicht so schlimm. Sie werden sich bald daran gewöhnen, und ich sagte Ihnen ja schon, daß ich in letzter Zeit kaum noch eine Hilfe gehabt habe.« Ich sah ihre
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