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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde
Autoren: Robert Tibber
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Einkaufstaschen zum Bus gingen.
    Ganz plötzlich und völlig unerwartet jedoch entstand draußen vor dem Haus ein Lärm, wie ich ihn seit den Bombenangriffen nicht mehr gehört hatte. Das ganze Haus zitterte, die Fensterscheiben klirrten.
    Miles und ich waren mit einem Sprung an der Tür und liefen auf die Straße hinaus. Dort war ein Wäschereiwagen frontal gegen einen anderen Wäschereiwagen aufgeprallt. Wir sahen die beiden Fahrer, die offenbar unverletzt geblieben waren, und bemerkten dann zu unserem Entsetzen, daß eine Frau von einem der Wagen überfahren worden war, der vermutlich auszuweichen versucht hatte. Alles, was man sah, waren Beine und Körper, die hinter den Rädern hervorschauten. Die Frau mußte hoch in anderen Umständen sein.
    »Komm schnell, Mann«, sagte Miles und raste auf die Straße.
    Ich folgte ihm. Wir trafen gleichzeitig bei den beiden Fahrern ein.
    »Hebt sie hoch«, befahl Miles, »und bringt sie rasch ins Haus.«
    Die Männer waren gewöhnt, schwere Wäschekörbe zu tragen, aber sie machten es sanft.
    »Ihr braucht gar nicht so vorsichtig zu sein«, sagte Miles, »nur rasch, rasch. Jeder Moment ist wichtig.«
    Da erst wußte ich, was er meinte, als er sagte, sie brauchten nicht so vorsichtig zu sein. Das Rad war über den Kopf der Frau hinweggegangen und hatte ihn zusammengedrückt. Es war ein schrecklicher Anblick. Einer der Wäschereimänner wurde grün und begann zu zittern, und der andere sah auch nicht sehr vertrauenerweckend aus.
    »Ich nehme sie an den Schultern«, sagte Miles, »packt sie an den Beinen.«
    Innerhalb weniger Augenblicke, eine Blutspur hinter uns, war sie in meinem Sprechzimmer auf der Couch.
    Miles schickte die Männer hinaus und auch die Neugierigen, die der kleinen Prozession gefolgt waren, und verschloß die Tür. In meiner ganzen ärztlichen Laufbahn hatte ich noch nie so etwas Entsetzliches gesehen; der Wagen hatte den Kopf der Frau wie ein Blatt Papier zusammengedrückt. Alles, was geblieben war, waren ihre Glieder und ein Rumpf mit einem hochgeschwollenen Bauch.
    »Sie ist tot, nicht wahr?« fragte Miles mich.
    Ich hielt diese Frage für überflüssig und antwortete ihm gar nicht.
    »Bestätigst du, daß diese Frau tot ist? Fühle ihren Puls, stelle fest, ob noch Herztöne vorhanden sind.«
    Ich sah ihn verwundert an. Was mochte er vorhaben?
    »Ja. Sie ist tot.«
    »Gut. Zieh ihr die Kleider aus, so schnell du kannst«, sagte Miles und rannte in sein Sprechzimmer hinüber.
    Verdattert begann ich den Mantel der Toten aufzuknöpfen.
    »Um Himmels willen, Mann«, sagte Miles, als er mit der Geburtshelfertasche zurückkehrte. Er schob mich beiseite und schnitt mit einer riesigen Schere die Kleider von oben bis unten auf.
    Als er das getan hatte, zog er die Couch von der Wand weg und bat mich, dahinter zu treten. Noch immer seinen Panamahut auf dem Kopf, griff er zu einem Skalpell. »Also los«, sagte er und überhörte das Klopfen an der Tür, »laß uns anfangen.«
    Es dämmerte mir plötzlich: Miles Fouracre versuchte einen post-mortem Kaiserschnitt. Um das Baby zu retten, da die Mutter bereits tot war. Ich verstand nun seine Eile, das Baby herauszuholen, ehe die Totenstarre der Mutter das Kind in tödliche Gefahr bringen würde.
    Zu meiner nie endenden Bewunderung machte Miles einen Mittelschnitt von über sechs Inches Länge, das obere Drittel davon lag über dem Nabel. Er öffnete dann den Uterus durch einen Längsschnitt im oberen Teil. Nach einigen Augenblicken gekonnter und außerordentlich erfahrener Arbeit trennte er die Nabelschnur und zog das Kind an den Beinen heraus. Kaum auf das Kind sehend, überreichte er mir den feuchten kleinen Körper, der wenigstens zehn Pfund zu wiegen schien, und begann die riesigen Wunden der Toten zu schließen. Ich blickte mich nach etwas um, womit ich das Kind einwickeln konnte. Da nichts außer einigen Tüchern vorhanden war, raste ich in die Küche, wo Sylvia gerade mit dem Zubereiten einer Pastete beschäftigt war.
    »Was willst du hier?« fragte sie unwillig, »und was, um Himmels willen, hat eben so geschrien?«
    »Ein Baby. Schnell, nimm es, wickle es und versorge es.«
    Ich mußte zugeben, daß sie der gesunde Menschenverstand in Person war.
    Es dauerte keine Sekunde, bis sie begriff, dann flogen ihre Hände zu ihrer Zierschürze, um sie abzutrocknen, sie riß eine Schublade auf, in der saubere Teeservietten lagen, und nahm mir das Baby ab, um es zu wickeln.
    »Was soll ich mit ihm machen? Zu dir
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