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Attentage

Attentage

Titel: Attentage
Autoren: W Bartl
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Säule verwundert anstarren. Ein barbusiges Mädchen wirbt darauf für „Last-Minute-Reisen“ und blickt freundlich, aber unverbindlich lächelnd auf die Szenerie aus Toten und Schwerverletzten, deren Blut sich mit dem rot gesprenkelten Muster des Marmorbodens zu einem überdimensionalen abstrakten Gemälde vermischt.

SAMSTAG, 10. MÄRZ, 5.40 UHR | PARIS, POLIZEIZENTRALE
    „Das ist absurd. Die al-Qaida bekennt sich zu einem Anschlag und von 28 Toten sind 21 Muslime, die von einer Pilgerreise heimgekehrt sind. Das zweite Attentat in Amsterdam scheint zumindest logisch.“ Commissaire Leconte schüttelt mehrmals den Kopf und zieht dann seine schwarzen, dichten Augenbrauen missbilligend hoch, während er gleichzeitig aus einer giftgrünen Thermoskanne den letzten Kaffee bis zum Überschwappen in einen Pappbecher gießt.
    Purront registriert den ungewohnten Wortschwall seines Chefs emotionslos. Er ist ebenfalls darüber informiert, dass sich ein Attentäter im Jüdischen Museum in Amsterdam in die Luft gesprengt hat. Wie üblich haben sie es aus dem Radio erfahren, bevor die offiziellen Meldungen ihr Büro erreicht haben. In Amsterdam waren außer dem Attentäter „nur“ drei Menschen gestorben, da das Jüdische Museum an diesem Tag schlecht besucht gewesen war.
    „Für mich auch“, ruft Purront von seinem Schreibtisch beim Fenster quer durch das Büro. Sein Gesicht wirkt trotz seiner dunkleren Hautfarbe fahl und sein dunkelbraunes Hemd unterstreicht diese Blässe. Die Morgendämmerung dringt durch die Fenster im 4. Stock des Polizeihauptgebäudes, vermischt sich mit dem Licht der Neonröhren an der Zimmerdecke und lässt die Haarrisse in den gelblich-schmutzigen Wänden hervortreten.
    „Für jeden Idioten ist es klar!“ Leconte murmelt es laut genug, dass es auch die vier anderen Kollegen im Raumhören können. Er sieht nicht einmal ansatzweise in die Richtung seines pummeligen Assistenten, der sich müde mit beiden Händen durch die schwarze Lockenpracht fährt.
    Amar Purront ist das jüngste Kind algerischer Einwanderer. Seine Vertrautheit mit der arabischen Kultur hat ihm dabei geholfen, schon mit 25 in die Sondereinheit zur Terrorbekämpfung aufgenommen zu werden. Damals hieß er noch Imalayéne, bis er bei der Heirat mit Nicole ihren französischen Namen angenommen hat. Kollegen behaupten hinter vorgehaltener Hand, er habe das nur getan, um besser Karriere machen zu können. Theoretisch konnte man natürlich auch mit einem algerischen Namen eine Spitzenposition bei Polizei oder Militär erreichen. Aber nur theoretisch. In der Praxis kam das so gut wie niemals vor.
    In einer geselligen Runde nach Dienstschluss erzählte Amar nach mehreren Calvados einigen Kollegen, dass er in seiner Kindheit in Marseille wegen seines Namens Imalayéne mit einem Wortspiel auf Himalaja gehänselt worden war. Es ergebe weder Sinn, noch sei es witzig. Sein algerischer Vorname Amar bedeute aber „der Unsterbliche“. Darauf sei er stolz. Die Kollegen nannten ihn von da an prinzipiell nur mehr „den Purront“.
    „Für mich auch – damit war der Kaffee gemeint!“, erwidert Purront, ohne seine Stimme auch nur eine Nuance anzuheben. Nach 13 Jahren Arbeit mit dem mürrischen Chef der Police spéciale weiß er, dass es sinnlos ist, sich gegen dessen Unhöflichkeiten zu wehren. Besonders gegen 6 Uhr früh, nachdem sie beide entstellte Leichen und Blutpfützen in einer Bahnhofshalle betrachten mussten, um dann nochDutzende von Zeugen zu befragen. Schließlich hatte eine Angestellte des Auskunftsbüros einen toten jungen Mann als Besitzer des explodierten Rucksacks und damit als Täter identifiziert.
    Leconte mimt zwar den abgebrühten Cop, den nichts aus der Ruhe bringen kann, aber Purront weiß, dass er zutiefst erschüttert ist. Eine breite Blutspur auf dem Marmorboden erzählte eine unfassbare Tragödie. Einer Frau im schwarzen Tschador hatte die Explosion ihr Baby aus den Armen gerissen. Sie war noch einige Meter zu ihrem toten Baby gekrochen und hatte es offensichtlich geschafft, noch die Hand ihres toten Kindes zu berühren, bevor sie selbst gestorben war. Purront hofft, dass sie nicht mehr begreifen musste, dass niemand mehr helfen konnte.
    Man dürfe in dieser Arbeit keine Emotionen zulassen, hatte ihm Leconte gleich zu Beginn seiner Tätigkeit erklärt. Sentimentale Gefühle verhinderten nur, dass man sachlich und analytisch vorgehe, und seien damit ein Vorteil für den Täter. Den mussten sie in diesem Fall allerdings
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