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Attentage

Attentage

Titel: Attentage
Autoren: W Bartl
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Stadtzentrum direkt an der Seine.
    „Du wirst noch alles rechtzeitig genug erfahren. Es geht vor allem um diese bescheuerten E-Mails.“ Mit einem Blick in das fragende Gesicht seines Assistenten und dann auf dessen verwaschene Jeans und das zerknitterte Hemd fügt er hinzu: „Wir stoppen auf dem Weg zum Flughafen 15Minuten bei dir zu Hause.“ Als er Purronts widerwilligen Blick bemerkt, fügt er beiläufig hinzu: „Ich kann aber auch Lucien oder Jérôme mitnehmen, wenn die Reise für dich so ein großes Opfer ist!“
    Purront hebt abwehrend und resignierend die Hände, während Lucien, der vor dem PC sitzt, sich umdreht und ein lautes „Ja, gerne!“ vernehmen lässt. Leconte schmunzelt das erste Mal an diesem Tag. Natürlich geht Purront nicht das Risiko ein, seine Position als Stellvertreter – und damit zukünftiger Abteilungsleiter nach Lecontes Pensionierung – zu gefährden. „Ich weiß nichts von irgendwelchen bescheuerten E-Mails“, sagt er einlenkend, aber gleichzeitig den Tonfall des Commissaires imitierend. Leconte tut, als ob er es nicht bemerkt hätte. „Ich erkläre es dir auf dem Weg“, erwidert er und es klingt beinahe freundlich.

SAMSTAG, 10. MÄRZ, 9.30 UHR | PARIS, PURRONTS UND NICOLES WOHNUNG
    Der Taxifahrer versucht das verbissene Schweigen seiner beiden Passagiere im Fond des Wagens zu entschärfen, indem er das Radio noch lauter dreht. Leconte starrt scheinbar gleichgültig auf das geschäftige Treiben auf dem Trottoir neben der Rue Jeanne d’Arc, auf der sie sich durch den dichten Frühverkehr drängeln.
    Purront erträgt die klagende Stimme der Sängerin – ihre Interpretation des Chansons ist ein jämmerlicher Versuch, die unerreichbare Piaf zu kopieren – kaum. Der kitschige Text schildert die Tragödie einer unglücklichen Liebe. Die Sprachmelodie mildert zwar die Schnulzigkeit, aber der Gedanke an die bevorstehende Konfrontation mit Nicole quält Purront, und das Lied nervt ihn umso mehr.
    Erst vor einigen Tagen war es wieder zu einem Streit gekommen, als er überraschend zur Observation eines verdächtigen Irakers in den Norden des Landes hatte verreisen müssen. Wütend hatte sie über seinen „Sklavenjob mit dem miesen Gehalt“ und über die Unberechenbarkeit seiner Dienstzeiten geschimpft. „Wie können wir jemals eine normale Familie mit Kindern werden, wenn du nicht einmal mit Sicherheit sagen kannst, ob du zum Abendessen kommst?“, hatte sie ins Telefon geschrien.
    Nicole hatte nach einer Lehre als Visagistin in Paris eine gut bezahlte Stelle als Beraterin in der Parfümabteilung desnoblen Harrods in London bekommen. Anscheinend traute man einer schlanken, dunkelhaarigen Französin automatisch zu, Expertin in der Welt der Düfte zu sein. Das Kaufhaus gehörte damals Mohamed al-Fayed, dessen Sohn „Dodi“ mit Prinzessin Diana tödlich verunglückte.
    Viele Kunden im Harrods sind reiche Muslime, die ihre Frauen zum Shoppen bringen. Während die Männer ihre geschäftlichen Besprechungen in den umliegenden Lokalen oder Büros abhalten, lassen sich ihre Frauen stundenlang beraten. Kichernd streichen sie zaghaft die langen Ärmel ihrer Tschadors hoch, um die verschiedenen Duftnoten auf der Haut zu testen. Natürlich kann niemand nach 20 aufgesprühten Proben noch einen einzelnen Duft intensiv wahrnehmen, aber letztendlich kaufen sie dann großzügig ein. Die Männer zücken bei ihrer Rückkehr wortlos die Kreditkarten.
    Nicole wünschte sich einen reichen Mann und zwei Kinder und damit verbunden auch den Ausstieg aus diesem Job ohne Aufstiegsmöglichkeit. Schon als Teenager hatte sie vor dem großen Schlafzimmerspiegel ein entwaffnendes Lächeln geübt. Ihr Puppengesicht hätte nichtssagend gewirkt, wäre da nicht die ausgeprägte Stirnpartie gewesen. Während ihrer Zeit in London gab es einige Affären mit reichen jungen Arabern, die sie im Harrods direkt ansprachen. Bald stellte sie fest, dass keiner daran interessiert war, sie zu heiraten oder mit ihr Kinder zu zeugen. Die Männer boten ihr nur an, gratis in einem ihrer Appartements zu leben, und unterstützten sie gerne finanziell. Nicole kam sich vor wie eine Edelnutte und bald bemerkte sie, dass ihre wechselnden Liebhaber dies auch so sahen.
    Bei einem der halbjährlichen Besuche bei ihrer Mutter inParis lernte sie Purront kennen. Ein Betrunkener hatte sie inder Metro belästigt und er war dazwischengegangen. Alle anderen hatten einfach weggesehen. Das gefiel ihr und sie ließ sich von ihm „wegen des
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