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Attentage

Attentage

Titel: Attentage
Autoren: W Bartl
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Zündflüssigkeit mit dem Sprengstoff vermischt hat, wird die Explosion alle Menschen im Umkreis von zehn Metern in diesem Abteil töten und den Zug vermutlich zur Entgleisung bringen. Ob der Tunnel durch die Explosion undicht und überflutet werden wird, liegt in Allahs Hand. In Sure 8,13 steht: „Und wisset, dass Allah streng im Strafen ist.“
    Als Hassan den Rucksack öffnet, bemerkt er, dass seine Hände schweißnass sind und leicht zittern. Daran sind nur diese Teufel schuld. Sein Puls rast und plötzlich befürchtet er, sich noch im letzten Augenblick durch seine Nervosität zu verraten. Doch als er mit der rechten Hand die Plastikspritze im Innern des Rucksacks ertastet und sie aus der Schutzhülle befreit, wird er ruhiger. Diese Handlung ist ihm nach wochenlangem Training zur vertrauten Routine geworden. Hassan blickt auf die Uhr an seinem linken Handgelenk. Noch fünf Minuten.
    „We are on time“, sagt eine Französin unvermittelt zu ihm. Hassan starrt sie an. Diese schamlose Ungläubige wagt es, ihn anzusprechen. Sicherlich will sie ihre paar erlerntenBrocken Englisch praktizieren. Lächerliche Touristen. Hassan ist in London aufgewachsen und hat einen britischen Pass. Nur für seine Spezialausbildung im Jemen hat er das Land einmal verlassen. Er sagt nichts, sondern wendet seinen Kopf verächtlich zum Fenster und blickt in die Dunkelheit des Kanaltunnels.
    Yusuf hatte ihm erklärt, dass der Zug unterirdisch maximal 160 km/h fahren dürfe. Diese Geschwindigkeit reiche aber aus, dass sich nach der Explosion die Waggons in der engen Röhre ineinander verkeilen und zu brennen beginnen würden. Es sei unwahrscheinlich, dass dies viele überleben. „Aber was ist, wenn Muslime mitfahren und sterben?“, hatte Hassan ihn gefragt. „Auch am 11. September starben Muslime“, hatte Yusuf, ohne nachdenken zu müssen, gesagt. „Der Allmächtige und Allwissende hat Pläne, die wir nicht verstehen.“
    Hassan beschließt, sich nicht mehr in Richtung dieser ordinären Französinnen zu drehen. Sein letzter Blick soll nicht auf eine Ungläubige gerichtet sein. Der Prophet lehrte, dass ein Gebet ungültig ist, wenn ein Esel, ein schwarzer Hund oder eine erwachsene Frau vorüberläuft. Hassan rezitiert innerlich die erste Sure, al-F¯atiha. Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen … Hassan ist jetzt voll auf seinen Auftrag konzentriert und er spürt wieder diese vogelfreie Leichtigkeit. Ein letztes Mal blickt er auf seine Uhr. Noch drei Minuten. Er wird jetzt noch mit geschlossenen Augen die Schutzsuren al-Ihlâs und al-Falak innerlich auf Arabisch rezitieren. Yusuf hatte ihm erklärt, dass im Paradies Arabisch gesprochen wird. „Wenn du eine Sure in Arabisch betest und dabei die Bombe zündest, kannst du die Sure imParadies ohne Unterbrechung weitersprechen.“ Hassan hat einige Suren auswendig gelernt und sich dann für diese beiden vor und während der Tat entschieden. Er liebt die Worte der Sure 112: „Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt worden! Und keiner ist ihm ebenbürtig!“ Dieses erbärmliche Christenvolk von Kreuzrittern und Unzüchtigen sollte man zwingen, dies zu wiederholen, bis es endlich verstanden hat, wie minderwertig seine Religion ist.
    Hassan drückt im Rucksack den Inhalt der Spritze in den Strumpf mit dem Plastiksprengstoff und schreit gleichzeitig triumphierend: „Allahu akbar!“ Er fühlt sich wie entrückt. Es ist plötzlich ganz still um ihn herum, obwohl er keinen Knall gehört hat. „Du wirst die Explosion nicht mehr mitbekommen, denn da wirst du schon im Paradies sein“, hatte Yusuf betont.
    Er hatte auch angedeutet, dass gleichzeitig mit Hassans Anschlag ein weiteres Attentat in Europa geplant war. „Die Ungläubigen werden zittern“, hatte er ihm im Hotelzimmer mit diesem besonderen Flackern in den Augen zugeflüstert, als ob Hassan das eigentlich gar nicht wissen dürfe.
    Hassan lächelt und öffnet langsam die Augen. Er erschrickt, denn vor ihm ist alles dunkel. Es kommt ihm vor, als ob er noch immer auf die Tunnelwand starren würde. Erst als das Gekicher der Mädchen wieder einsetzt, begreift Hassan, dass es keine Explosion gegeben hat. Er spürt, dass seine Hand im Rucksack von der Zündflüssigkeit leicht verätzt wird, und zieht sie abrupt heraus. Die Mädchen und sein Sitznachbar starren ihn verwundert, aber nicht verängstigt an.
    „Are you okay?“, fragt der Junge neben ihm, der mittlerweile das beige Shirt wieder angezogen hat, auf dem
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