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Attentage

Attentage

Titel: Attentage
Autoren: W Bartl
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diehingeschmierten Namen und Telefonnummern der Französinnen prangen. Hassan findet die Situation völlig absurd. Als er eine Erklärung stammeln will, versagt seine Stimme. Abrupt erhebt er sich, stolpert über die Beine eines der Mädchen und läuft hinaus. Hinter sich hört er schallendes Gelächter.
    Er durchquert den Zug wie in Trance. Eine ältere Frau hat ihren Kopf ans Fenster gelehnt und ist eingenickt, Geschäftsleute blättern in ihren Unterlagen, ein Baby schläft in den Armen seiner Mutter, die es beruhigend schaukelt, ein älteres Paar scheint zu streiten, andere schweigen sich an oder blättern in Illustrierten, ein junges, verliebtes Pärchen döst ineinander verschlungen vor sich hin.
    Sie alle sollten eigentlich nicht mehr leben. Die Bombe hat versagt. Oder habe ich versagt? Hat Allah das Attentat verhindert, weil ich nicht rein und würdig genug bin, als Märtyrer ins Paradies einzugehen? Oder waren es böse Geister, die Dschinn? Was wird die Bruderschaft wohl dazu sagen? Wird sie mir glauben? Oder mich beschuldigen, die Bombe aus Feigheit nicht zur Explosion gebracht zu haben?
    Dieser Gedanke lässt Hassan erzittern. Er würde dann geächtet sein und man würde ihn wie einen Ungläubigen jagen und töten. Die Führer hatten viel Zeit und Geld in seine Ausbildung investiert und ihm vertraut! Hassans Puls rast. Aber sie werden ja feststellen, dass er den Zündstoff in den Sprengstoff gespritzt hat. Nein, nein, er ist weder ein Feigling noch ein Dummkopf.
    Die letzte Tür ist verschlossen. Hassan realisiert, dass er am Ende des Zuges angelangt ist. Er betritt die Toilette und inspiziert den Rucksack. Der Sprengstoff hat sich mit dem Zündmittel vermischt und schwelt leicht. Alles fühlt sichwarm, aber nicht heiß an. Auf jeden Fall ist es besser, in der Toilette zu warten, bis der Zug in wenigen Minuten Paris erreicht. Es wäre grotesk, mit einer schwelenden Bombe im Rucksack verhaftet zu werden, um dann die nächsten Jahre in Hochsicherheitsgefängnissen zu verbringen. So bleibt ihm zumindest die Chance auf einen zweiten Versuch.
    Als der Zug hält, bahnt sich Hassan behände mit seinem Rucksack den Weg durch die aussteigenden Passagiere mit schweren Koffern und Reisetaschen, bis er die geräumige Ankunftshalle mit dem rötlichen Marmorboden im Gare du Nord erreicht. Er atmet tief durch. Er muss nun nur noch einen geeigneten Platz finden und den Rucksack unauffällig dort deponieren. Sollte der Rucksack später nicht explodieren, würde ihn jemand finden und man würde die Bombe entdecken. Damit würde er zumindest Angst und Panik auslösen. Es tröstet Hassan, dass seine Aktion nicht ganz umsonst war.
    Er setzt sich auf eine Metallbank gegenüber dem Auskunftsbüro und schiebt seinen Rucksack unter die Bank. Bei der nächsten Möglichkeit wird er unauffällig ohne ihn verschwinden. Hassan merkt, dass der Rucksack bei seinen Füßen warm wird, und er kann den Geruch des Schwelbrandes immer stärker riechen. Ein dicker älterer Mann setzt sich neben ihn und kramt eine französische Zeitung aus einer braunledernen Aktentasche. Auch er scheint den Geruch zu bemerken, rümpft die Nase, blickt fragend um sich und dann zu Hassan.
    Eine persische Reisegruppe verstellt Hassan die Sicht auf den Auskunftsschalter. Die meisten Frauen tragen einen Tschador und ziehen damit auch auf dem Pariser Gare duNord einige Blicke auf sich. Fast alle iranischen Frauen legten im Ausland sogar das Kopftuch ab, aber hier waren die Ehemänner offenbar gute Muslime und ließen es nicht zu. Hassan lächelt still in sich hinein. Der Islam ist die einzig reine und wahre Religion und solch ein Anblick ist Allah wohlgefällig.
    Er steht auf, um zu gehen. Er wird sich nicht umdrehen, falls ihm jemand wegen des „vergessenen“ Gepäckstücks etwas nachruft. Die ersten beiden Schritte geht er konzentriert langsam. Als er beim dritten Schritt beschleunigen will, dringt ein dumpfes, verpuffendes Geräusch durch die Halle. Es klingt fremd, wie nicht von dieser Welt, und es passt vor allem nicht zu dem lauten Stimmengewirr, das wie eine Decke über der Ankunftshalle des Bahnhofs liegt.
    Hassan hört die Detonation der Bombe noch, aber die Schreie der Menschen, die von umherfliegenden Metallteilen der Bank getroffen werden, erreichen ihn nicht mehr. Die Druckwelle schleudert ihn mit dem Kopf gegen eine Säule und der Aufprall bricht ihm das Genick. Er liegt seltsam verrenkt auf dem Boden und es sieht aus, als würde er das Plakat auf der
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